We Are The Weirdos, Mister!

Ein Erklärungsversuch der Aromantik für romantisch orientierte Personen

 

Wir sind die, die sich nie verlieben. Die Langzeit-Singles, die nichts an ihrem Zustand ändern wollen.  Diejenigen, die sich nicht ganz tief drinnen doch eine romantische Paarbeziehung wünschen, um endlich angekommen zu sein.

 

Wir sind die, die man nicht durch Liebe retten kann. Die Menschen, für die romantische Liebe keine Erlösung darstellt. Diejenigen, die alleine durchs Leben gehen und sich keine Schulter zum Anlehnen wünschen, weil sie sich selbst den nötigen Halt geben.

 

Wir sind die, die sich bei Liebes- und Partnerschaftsthemen unwohl fühlen. Die, die nicht von ihrer neuesten Eroberung berichten können, weil die gar nicht existiert. Diejenigen, bei denen Freundschaft in der Beziehungshierarchie den höchsten Rang einnimmt.

 

Wir sind die, für die romantische Liebe nichts anderes ist als ein hormoneller Vollrausch. Diejenigen, mit denen die Romantikindustrie kein Geld verdienen kann.  Die, die nicht mit tränenverhangenen Augen und dem Taschentuch vor der Nase romantische Komödien im Fernsehen konsumieren und sich dabei wünschen, auch endlich ihrem Traumpartner zu begegnen.

 

Wir sind die, die den Valentinstag alleine verbringen. Diejenigen, die nicht daran glauben, dass man Gefühle ökonomisieren kann und für die romantische Liebe keine Naturgewalt, sondern eine gekonnte Inszenierung darstellt. Die dem zeitgemäßen Partnerschaftskonzept den Rücken kehren und andere Lebensmodelle favorisieren.

 

Wir sind die, die nichts mit Flirts anfangen können. Diejenigen, die deine Signale übersehen und dich mit ihrer Ignoranz wohlmöglich verletzen. Diejenigen, für die du niemals die Nr. 1 sein kannst – so sehr wir uns auch anstrengen.

 

Wir sind auch diejenigen, die du deswegen für seltsam, kalt und berechnend hältst. Die du zu einem Termin beim Psychologen überreden möchtest. Die du für das bedauerst, was sie deiner Ansicht nach verpassen. Diejenigen, die in deinem auf Romantik zentrierten Weltbild nur eine Außenseiterrolle innehaben und die du am liebsten ganz aus deinem Sichtfeld verbannen würdest, weil du sie nicht verstehen kannst.

 

Perspektivenwechsel gefällig?

Versuch einmal, dich in unsere Lage hineinzuversetzen. Warum sind die Menschen nur so besessen von der Idee der einzig wahren romantischen Liebe? Der Irrglauben, dass jeder Mensch ein sexuelles und romantisches Wesen ist, schadet vor allem denjenigen Personen, die diese Erwartungen nicht erfüllen: asexuellen Aromantikern. Diese Erwartungshaltung bringt sie in Erklärungsnot, setzt sie vielleicht sogar fatalerweise unter Druck, Beziehungen einzugehen und bewirkt bei ihnen nur Schuld- oder Minderwertigkeitsgefühle, weil sie für ihren Partner kein Verliebtheitsgefühl empfinden oder ihm nicht die Liebe entgegenbringen können, die ihnen ihr romantischer Partner zu geben in der Lage ist.

 

Warum sollte man sich minderwertig fühlen und Komplexe entwickeln, weil man sich nicht nach einem romantischen Lebenspartner sehnt? Seit wann ist eine Steintafel vom Himmel gesegelt, die Liebes- und Emotionsfähigkeit ausschließlich denjenigen zuschreibt, die sich in einer romantischen Beziehung befinden? Wir können auch emotional und empathisch sein, suchen Freundschaften statt Partnerschaften und freuen uns, wenn jemand unserer Freundschaft den gleichen Stellenwert zugesteht und uns nicht aufs Abstellgleis weit hinter dem Partner und den Kindern verfrachtet.

 

Versuch also, uns so zu nehmen, wie wir sind und uns unsere Gefühle nicht absprechen zu wollen, denn dasselbe würdest du auch von uns erwarten. Du befindest dich in der Mehrheit. Du diktierst die Regeln in der heutigen, amourös ausgerichteten Welt, die die romantische Liebesbeziehung zum Leitstern erhoben hat – und wir sind nur eine Randgruppe, die darin nach einer Nische sucht, in der sie sich heimisch fühlen kann.

 

Siku

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Kommentare: 5
  • #1

    Mary (Mittwoch, 02 Dezember 2015 10:37)

    Dein text hat mich wahnsinnig berührt, denn er hat mich daran erinnert, wie sehr ich um meine Identität als Aromantiker kämpfen musste. Hätte man mir vorher von Aromantik berichtet, hätte ich mir vieles ersparen können.

    Ich finde es deshalb eine sehr wichtige Aufgabe, Aromantik sichtbarer zu machen, damit andere meine Fehler vermeiden und sich gut damit fühlen können anders als die anderen zu sein. Wäre Aromantik, ebenso wie Asexualität allgemein als Orientierung anerkannt könnte das viel Leid ersparen, ist meine Meinung.

  • #2

    Aaron (Donnerstag, 03 Dezember 2015 07:17)

    Mich betrifft aromantik zwar nicht, finde den hier gewährten einblick aber sehr interessant.

  • #3

    Gaze (Donnerstag, 03 Dezember 2015 14:48)

    Den Abschnitt über die Schuld- anstelle von Verliebtheitsgefühlen kann ich ich voll und ganz unterstützen. Mich hat das fast in den Wahnsinn getrieben und das war auch einer der Hauptgründe für die Trennung. Seotdem ich Aromantik kenne, kann ich mich selbst und meine Bedürfnisse bzw. nicht-Bedürfnisse wesentlich besser verstehen.
    Macht weiter mit dieser Seite! Aufklärungs- und Sichtbarkeitsarbeit sind viel Wert, aber die Gewissheit nicht allein zu sein, nicht "krank" zu sein, ist unbezahlbar.

  • #4

    Mara (Donnerstag, 10 Dezember 2015 21:00)

    Ich kann Gaze nur zustimmen, die Seite ist sehr hilfreich!

  • #5

    Nina (Mittwoch, 30 März 2016 16:19)

    Sichtbarkeit ist wirklich sehr wichtig. Ich würde sie mir für andere Bereiche wünschen, aber da gibt es wohl zuwenig Nachfragen.