Wahrsager ade!

Wer kennt sie nicht? Die Diskussionspartner, die bei einem Gespräch über Asexualität ihre Kristallkugel zurate ziehen und im mysteriösen Nebel des unendlichen Kosmos die Befähigung erblicken, ihr Gegenüber labeln und bewerten zu können? Sie sind überzeugt davon, asexuelle Menschen und ihre Gefühle besser zu verstehen als diejenigen, die diese Orientierung wirklich betrifft.

Der folgende Beitrag zeigt, warum es nicht sinnvoll ist, andere Personen in ihrer Selbstbestimmung korrigieren zu wollen. 

 

Folgende Gedanken sollte den selbsternannten Wahrsagern irgendein Astralwesen in die Kristallkugel funken, um so für ein besseres Verständnis von Asexualität zu sorgen und die bevormundende und verletzende Fremdbestimmung durch die vermeintlich Hellsichtigen zu unterbinden.

 

     Asexuelle Menschen haben sich über ihre Identität bereits ausreichend Gedanken gemacht, bevor sie mit der ‚Asexualität‘ für sich das richtige Label gefunden haben. Diese Menschen wissen, was es heißt, asexuell zu sein, weil sie es am eigenen Leib tagtäglich erleben. Wie könnte jemand Außenstehendes sie besser verstehen, der darin überhaupt keine Erfahrung hat?

 

       Es sollte möglich sein, sich einmal in seinem Leben in einer Konversation zurückzunehmen, wenn sich eine andere Person mit einem sehr intimen Anliegen offenbart. Es sind weder Spekulationen nötig noch ein großzügiges Absegnen dieser seltenen Orientierung. Es reicht, einfach zuzuhören und sein Gegenüber ernst zu nehmen.

 

     Wer sich als asexuell outet, schuldet seinem Gesprächspartner keinen Beweis für seine sexuelle Orientierung. Es ist verletzend, das Ergebnis einer Selbstfindung abzuwerten, indem man nach Rechtfertigungen verlangt oder sogar behauptet, demjenigen erst dann zu glauben, wenn er ein ärztliches Zertifikat mit der entsprechenden ‚Diagnose‘ vorlegt. Die sexuelle Identität ist nichts, was nur erlangt, wer einen gestempelten Zettel herumreichen kann, der alle anderen möglichen ‚Ursachen‘ zweifelsfrei ausschließt.

 

      Die Information, die ein Mensch mit einem Outing seiner sexuellen Identität gibt, ist nicht trivial und verdient Beachtung. Oftmals dauert es lange Zeit, bis ein Asexueller zu seiner Orientierung findet und diese auch anderen gegenüber benennen kann oder möchte. Für ihn ist es ein wichtiger Bestandteil seiner Selbstfindung und keine Trivialinformation, die auf erhöhte Aufmerksamkeit des sozialen Umfelds zielt.

 

      Wer Andersartigkeit akzeptiert, ohne an fremden Labels herumzudoktern und Gründe zu erfinden, warum es diese Labels gar nicht geben kann oder warum sie nicht auf sein Gegenüber passen können, vergibt sich nichts. Im Gegenteil, so beweist man Toleranz und Empathie.

 

      Niemand ist in der Lage, die Konditionen festzulegen, nach denen sich eine andere Person als asexuell einordnen darf. Wer bereits sexuelle Erfahrung gesammelt hat oder regelmäßig masturbiert, kann asexuell sein! Entscheidend ist die Fähigkeit, (keine) sexuelle Anziehung empfinden zu können.

 

      Über das Outing eines anderen Menschen zu lachen oder unangebrachte Witze zu machen verbietet sich von selbst. Andernfalls wird es wohl das letzte Mal sein, dass jemand dir seine Gedanken anvertraut.

 

      Versuche, dein Gegenüber nicht mit dem Hinweis zum Schweigen zu bringen, dass es in dieser Welt ‚wirkliche‘ oder ‚größere Probleme‘ gibt, die deiner Meinung nach wesentlich relevanter sind. Die Selbstfindung eines Menschen ist eine Lebensaufgabe und es ist wichtig, sich über die eigene Identität klarzuwerden.

 

      Vermeide in die Leere laufende Vergleiche, um jemand anderen davon überzeugen zu wollen, seine Identität besser erklären zu können, als er selbst das kann. Vergleiche Asexualität nicht mit den Durststrecken in deiner letzten Beziehung, es ist nicht dasselbe! Wer nicht asexuell ist, kann sich auch nicht mit asexuellen Menschen vergleichen und sollte keine Expertise auf diesem Gebiet suggerieren, die de facto nicht vorhanden ist.  

 

      Wie sinnvoll ist es, vermeintlich in die Schuhe einer anderen Person zu schlüpfen und dann zu konstatieren: Wenn ich diese sexuelle Orientierung hätte, würde ich damit nicht klarkommen und mich höchstwahrscheinlich umbringen! Danach wird sich dein Gesprächspartner sicher besser fühlen…

 

      Asexualität ist kein Argument, kein Standpunkt und auch keine Entscheidung, sondern eine sexuelle Orientierung. In der Entscheidungsgewalt asexueller Menschen liegt lediglich, ob sie sich outen wollen oder nicht. 

 

      Niemand wird von der Identifizierung als asexuell absehen, „weil doch alle Menschen Sex haben.“ Es mag sein, dass dieses Konzept für die breite Masse seine Gültigkeit hat. Das berechtigt dich aber noch lange nicht, es als gottgegebene Wahrheit hinzustellen.

 

      Selbst, wenn sich eine Person dir gegenüber als asexuell geoutet hat, muss das nicht gleich für den gesamten Freundeskreis gelten. Du solltest dir vorher die Erlaubnis des betreffenden Menschen einholen, bevor du seine sexuelle Identität im großen Stil ausdiskutierst. Im Übrigen kann man sich mit seiner Orientierung wohlfühlen, ohne gleich der ganzen Welt davon berichten zu wollen.

 

       Du hast irgendwo gelesen, dass Asexualität nicht existiert und alle asexuellen Personen sich diese Orientierung nur einbilden? Dann denk daran, dass das auch nur ein Mensch geschrieben hat, der falsch informiert war oder es wie du nicht glauben wollte. Egal, wie seriös ein Text daherkommt, er wurde von keinem göttlichen Wesen in Stein gemeißelt und hat folgerichtig auch keinen Absolitätsanspruch auf die Wahrheit.

 

      Du kennst also einen Menschen, der sich fälschlicherweise als asexuell identifiziert hat und nun „darüber hinweggekommen ist?“ Schön für diese Person, dass sie zu einer korrekten Selbstbezeichnung gefunden hat! Aber ein Gegenbeispiel anzuführen hilft dir bei deinem gegenwärtigen Diskussionspartner nicht weiter, denn er ist ein Individuum!

 

     Wenn dein Gegenüber dich in einem Punkt korrigiert und dabei aufgrund der größeren Erfahrung aller Wahrscheinlichkeit nach Recht hat, solltest du diese Korrekturen annehmen, anstatt dich angegriffen zu fühlen und zu schmollen. Höchstwahrscheinlich will dein Gesprächspartner, dass DU ihn besser verstehen kannst und von keinen falschen Tatsachen ausgehst.

 

    Vermeide das krampfhafte Suchen nach möglichen Krankheitshistorien oder sexuellem Missbrauch. Einen solchen Informationsaustausch zu initiieren steht dir nicht zu, das ist Sache des betroffenen Menschen!

 

     Es ist nicht möglich, die Identität eines anderen Menschen bestimmen zu können oder für ihn in die Zukunft zu sehen. Wirf deine Kristallkugel weg!

 

Siku

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Kommentare: 4
  • #1

    Mia (Sonntag, 03 Januar 2016 15:35)

    Ich hatte schon Diskussionen mit Hellsehern ... aber meine Erklärungen haben ihnen die Kristallkugeln gottseidank aus der Hand gefegt ! Es ist wichtig, mit jemandem im Umfeld drüber reden zu können, deshalb bin ich für die Gelassenheit meiner freunde sehr dankbar !!!

  • #2

    Aaron (Sonntag, 03 Januar 2016 17:57)

    Den Beitrag sollte man mal an alle verteilen, die mit solchen unsensiblen Verhaltensweisen "glänzen".

  • #3

    Mary (Montag, 04 Januar 2016)

    Besonders das Beispiel mit dem "falschen Asexuellen" ist schlecht für das Image von Asexuellen. Da haben die Kritiker und Zweifler ein Exempel für falsche Selbsteinordnung und glauben, es müsse jedem asexuellen Menschen früher oder später so gehen.

  • #4

    bet (Montag, 04 Januar 2016 22:24)

    mary: ob ihre argumente und exempel nun stimmen oder nicht ist nicht relevant für solche hellseher, die reden sich die dinge so lange fusselig, bis es für sie passt und drehen dem gegenüber aus allem einen strick. es gibt welche, die kritisieren und zweifeln aus prinzip. so traurig das ist: ändern kann die auch die beste argumentation nicht.