Keine Schmetterlinge im Bauch

Romantische Liebe ist omnipräsent. Sie durchflutet die Handlung von Büchern, zaubert Klischees auf die Leinwände und setzt sich als Idealvorstellung im Kopf romantischer Menschen fest. Gegen den heutigen Liebeskult wäre nichts einzuwenden, würde er nicht wie eine Lawine über diejenigen hinweg rollen, die mit romantischen Liebesgefühlen wenig am Hut haben: Aromantiker*

 

Paare sind die Regel, Singles die Ausnahmeerscheinung. Das ist die Kernaussage, die jedem alleinstehenden Menschen wie ein Mantra immer wieder ins Gedächtnis gerufen wird. Kaum ein Mythos überstrahlt die Gegenwart so sehr wie der Leitstern der romantischen, einzig wahren und für die Ewigkeit gemachten Liebe. Ob auf der nächsten Familienfeier oder beim gemütlichen Kinoabend mit Freund*en: Wer dauerhaft alleine lebt, kann sich auf das beharrliche Nachhaken seines Umfelds und kontinuierliche Rechtfertigungen einstellen, warum er* einem partner*losen Lebensentwurf den Vorzug gibt.

 

Schlimmstenfalls sind ungewollte Verkupplungsversuche abzuschmettern. Dabei sind diese oftmals gut gemeint und die Logik hinter dem vermeintlich unterstützenden Verhalten ist schnell erklärt: das singuläre Leben gilt als potentielle Quelle zermürbenden Dauerfrusts und wird als defizitär wahrgenommen. Wirklich erfüllend ist in der amatonormativen Gesellschaft nur die romantische Zweierbeziehung. Wo romantische Liebe zum sinnstiftenden Element, gar zur alles verschlingenden Norm geworden ist, kann ihr Ausbleiben nur eine mindere Lebensqualität und einen bedauernswerten Mangel bezeichnen.

 

Doch nicht jeder Mensch hat amouröse Intentionen. Aromantiker* zweifeln den omnipotenten Mythos des antiken Kugelmenschen an, der stets auf der Suche nach seiner zweiten Hälfte ist.(1) Sie stellen sich gegen den Zwang zur Verpartner*ung und behaupten: Nicht jeder Single ist ein bedauernswertes Mängelwesen. Damit nicht genug, ist das singuläre Leben erstrebenswert und dauerhaft gewünscht! Ein Leben lang Single, ganz ohne Leidensdruck.

 

Aromantische Menschen benötigen keinen romantischen Partner*, um sich vollständig zu fühlen. Sie brauchen niemanden, der ihnen zeigt, wie schön der Austausch romantischer Zärtlichkeiten in einer Liebesbeziehung sein kann, weil es für sie nicht schön wäre. Sie müssen nicht durch Liebe von ihrem „bemitleidenswerten Single-Dasein" erlöst werden – jeder Versuch würde scheitern. Denn Aromantiker*n fehlt die Fähigkeit, Schmetterlinge im eigenen Bauch zu züchten.

 

Ist das Sich-Verlieben-Können nicht fest in jedem Menschen verankert? Personen, die sich nicht in andere Menschen verlieben, müssen gefühllose Roboter sein! Vielleicht sogar Aliens? Gibt es dagegen ein Medikament?

 

Wer sich als aromantisch outet, erntet in vielen Fällen ähnlich verständnislose, mitleidige oder offen feindliche Reaktionen, gespickt mit dem Ratschlag, diese „Macke“ schnellstens bei einem Therapeuten* behandeln zu lassen. Doch es braucht keinen Gang zu einer psychiatrischen Einrichtung, damit dort wieder gerade gerückt wird, was immer schon gerade war. Keine schlechten Beziehungserfahrungen, keine Traumata, keine ungelösten Kindheitskonflikte oder Probleme mit der sexuellen Identität, dem eigenen Erscheinungsbild und dem Selbstbewusstsein müssen dafür verantwortlich sein, wenn jemand fühlt, dass er keinen Partner* braucht, um im Leben glücklich zu sein.

 

Aromantik, das ist keine bewusste Entscheidung, sondern eine romantische Orientierung, die das fehlende Verspüren romantischer Anziehung gegenüber anderen Individuen bezeichnet. Die emotionalen Bedürfnisse aromantischer Personen können auf platonische Weise befriedigt werden. Es ist ein Irrglauben, dass Aromantiker* immer auch asexuell sind und umgekehrt, dass jeder Asexuelle* sich mit Aromantik identifizieren kann. Es gibt aromantische Menschen, die sich sexuelle Kontakte zu anderen wünschen. Genauso gibt es Aromantiker*, die  nicht einmal Händchenhalten wollen.

 

Wichtig ist es, in diesem Zusammenhang darauf hinzuweisen, dass Aromantik nicht mit Antiromantik gleichzusetzen ist. Aromantiker* wollen weder ein kollektives Pärchen- und Liebesverbot durchsetzen noch andere mit ihrer Weltsicht missionieren. Es gibt nur einen Grund für die aromantische Kritik an der amatonormativen Liebesideologie: Sie lässt keinen Platz für Aromantiker* und suggeriert, diese romantische Orientierung sei nicht existent und in ihrer Andersartigkeit pathologisch.

 

Ein weiteres Vorurteil, mit dem aromantische Menschen konfrontiert werden, ist das Stigma einer Bindungs- oder Persönlichkeitsstörung. Wer sich nicht verlieben kann, gilt als gefühlskalter Psychopath, dem es an Empathie für seine* Mitmenschen mangelt. Wer sexuelle Kontakte ohne romantische Verbindlichkeit eingeht, muss sich von anderen als egoistischer Schwerenöter* verschmähen lassen, der* sich nicht festlegen will. Auch wenn das Bild des eisigen menschlichen Aromantik-Roboters nach wie vor in der Öffentlichkeit gezeichnet wird, es ist falsch! Die Fähigkeit, sich verlieben zu können, sollte nicht mit allgemeiner Liebes- und Emotionsfähigkeit verwechselt werden. Innige Freund*schaften und enge emotionale Bindungen können auch von aromantischen Individuen eingegangen werden.

 

Für viele Aromantiker* wäre es daher begrüßenswert, Freund*schaften insgesamt als eine soziale Beziehungskategorie höher zu werten. Ihnen kommt eine Schlüsselrolle in der Lebenswelt aromantischer Menschen zu. Sie sind das nichtromantische Äquivalent zu den romantischen Zweierbeziehungen der anderen. Der Vielfalt zwischenmenschlicher Beziehungskonzepte jenseits der romantischen Norm sind keine Grenzen gesetzt. Genau wie romantische Partner*schaften sind sie individuell leb- und verhandelbar.

 

Der Beitrag schließt daher mit einem Plädoyer für die Freund*schaft: Sie ist immer genau das, was zwei beteiligte Menschen daraus machen und in keinster Weise lediglich auf unverbindliches, oberflächliches und lockeres Entertainment verpflichtet, das weit hinter der Intensität einer romantischen Liebesbeziehung zurücksteht. Für Aromantiker* nimmt Freund*schaft in der Beziehungshierarchie den höchsten Rang ein. Sie sind über jeden Menschen dankbar, der dieses Emotionsverständnis mit ihnen teilt und sie nicht aufs Abstellgleis weit hinter dem Lebenspartner* und den Kindern verfrachtet.

 

(1) Kugelmenschen sind mythische Wesen der Antike, die einst eine Zusammensetzung zweier Elemente (rein männlich, rein weiblich oder androgyn) darstellten und auf der Suche nach ihrer zweiten Hälfte sind, um die ehemalige Einheit wiederherzustellen. Die angestrebte Verschmelzung mit dem verlorenen Seelenverwandten wird als höchstes Glück angesehen, das einem Menschen widerfahren kann. Der von Platon im Symposion erwähnte Mythos dient zur Illustration des erotischen Begehrens, kann aber ebenso auf das romantische Verlangen nach einem Partner übertragen werden.

 

Glossar

 

Amatonormativität: Die Annahme, dass eine exklusive romantische Paarbeziehung ein universelles Ziel aller Menschen ist. Diese Art der Zweierbeziehung wird als anderen Beziehungsformen überlegen angesehen.

 

Aromantik: Aromantik ist eine romantische Orientierung, die das fehlende Verspüren romantischer Anziehung gegenüber anderen Individuen bezeichnet. Die emotionalen Bedürfnisse aromantischer Personen können auf platonische Weise befriedigt werden. Amouröse Intentionen sind Aromantiker*n fremd, weshalb aus einer aromantischen Orientierung oftmals auch ein mangelnder Wunsch zum Initiieren romantischer Partnerschaften resultiert – dennoch können sich auch aromantische Menschen in romantischen Beziehungen wiederfinden.

 

Siku

Erschienen als Gastbeitrag in der  Queerulant_in (Novemberausgabe 2016).

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Valentinstag

Der Valentinstag hat das Potenzial zum nervigsten ‚Feiertag‘ aller Zeiten. Nicht nur, weil er mit all der zur Schau gestellten Romantik alles andere als aromantikerfreundlich ist.

 

Es geht hier nicht um die kommerziellen Aspekte des Valentinstags, die man bedauern könnte. Und es geht auch nicht um die angepriesenen Freizeitangebote für SIE und IHN, die man schon Wochen vorher in den Medien studieren kann. Es geht in diesem Artikel um ein indirektes Phänomen, das alljährlich vom Valentinstag ausgelöst zu werden scheint: meckernde Singles. 

 

Wer kennt sie nicht? Die unfreiwilligen Alleinstehenden, die sich in ihrem Selbstmitleid so aufführen, als wäre der Valentinstag ein  Vorbote des Jüngsten Gerichts und nur deswegen erfunden worden, um ihnen persönlich das Leben schwer zu machen.  Als wäre das Single-Dasein eine Höllenstrafe, die mit nichts auch nur annähernd zu vergleichen ist.

 

Die Implikationen, die eine solche Geisteshaltung für Aromantik mit sich bringt, zielen in die übliche pathologische und moralische Richtung. Wer keinen Partner hat ist verquer, selbst schuld, ein schlechter Mensch... BINGO!

 

Verständlicherweise fühlen sich einige Aromantiker durch die maulenden Singles vor den Kopf gestoßen. Wer möchte schon gerne hören, dass die eigene romantische Orientierung anderen als schreckliches Schicksal erscheint und sich sogar mit Höllenmetaphern assoziieren lässt?

 

Darüber hinaus kann man als Aromantiker noch aus einem anderen Grund mit den Augen rollen. Wer sich darüber beschwert, dass ihm ein einziger auf Romantik zentrierter Tag das Gefühl gibt, sich minderwertig zu fühlen, sollte sich eins bewusst machen: aromantische Menschen sind teilweise mit solchen Gedanken aufgewachsen und werden jeden Tag ihres Lebens daran erinnert, dass sie auf eine bestimmte Art und Weise nicht dazugehören.

Vielleicht nimmt das den vor Selbstmitleid triefenden Singles wenigstens für einen Moment den Wind aus den Segeln.

 

Siku

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Asexinesisch für Anfänger

Der Selbstidentifikation und infolge dessen der romantischen Orientierung kommen in der asexuellen Gemeinschaft ein hoher Stellenwert zu. In Forenprofilen kann man sie angeben, in Gesprächen mit anderen Asexuellen sind sie oft relevant und diverse Diskussionen über Asexualität laden dazu ein, sich noch näher mit den im Umlauf befindlichen Labels zu befassen. Doch können artifizielle Kategorien die gesamte Bandbreite menschlicher Emotionen abdecken?

 

Heteroromantisch, homoromantisch, biromantisch, panromantisch, aromantisch, lithromantisch, demiromantisch, greyromantisch, cupioromantisch, WTFromantisch: das ist kein Rumstöbern in einem wissenschaftlichen Schmöker, sondern allgegenwärtige Wortklauberei in der asexuellen Gemeinschaft. Der asexuelle Fachjargon – asexinesisch, wenn man so will – ist von dem westlichen Modell der sexuellen Orientierungen beeinflusst und abgeleitet. Die verschiedenen Labels laden Neulinge dazu ein, sich mit ihrer romantischen Orientierung zu befassen und durch Selbsterforschung den passenden Begriff zum Überstülpen zu finden.

 

Wenn jemand sich mit einer sexuellen oder romantischen Orientierung identifiziert, bedeutet das, die eigenen Emotionen und daraus resultierend oft auch das eigene Verhalten kritisch zu betrachten. Beides sind natürliche und vor allen Dingen individuelle Phänomene, die sich für jeden Menschen unterschiedlich anfühlen können. Das Ergebnis einer Selbstfindung wird allerdings in allgemeingültigen, sozial definierten Konstrukten zusammengefasst.

Für eine erste Orientierung sind diese Labels sicher nützlich. Insbesondere zur Kontaktaufnahme mit Gleichgesinnten eignen sie sich hervorragend. Aber kann man erwarten, dass künstliche Differenzierungen auf jeden Menschen und seine individuelle Gefühlswelt anwendbar sind?

 

Insbesondere Menschen, die sich mit dem aromantischen Spektrum identifizieren, haben es schwer, ihre romantische Orientierung herauszufinden, weil sie sich auf das Konzept der romantischen Orientierung oftmals keinen Reim machen können. Das belegt die hohe Konjunktur des Wortes ‚WTFromantisch‘, ein ironischer Begriff für Menschen, die von der Differenzierung zwischen romantischer und freundschaftlicher/emotionaler Anziehung frustriert und überfordert sind.

Es könnte daher sinnvoll sein, dem Asexinesischen ein paar weitere Vokabeln hinzuzufügen und alternative Konzepte anzubieten, z.B. romantikindifferent oder romantikablehnend. Auch die Bezeichnung nonamourös‘, die sich nicht direkt auf die romantische Orientierung, sondern auf den daraus resultierenden Lebensstil bezieht, ist für einige aromantische Menschen unter Umständen praktikabler, denn sie schließt bereits mit ein, dass man sich keine aromantische Partnerschaft wünscht.

 

Nicht alle Menschen müssen ein klares, in Stein gemeißeltes Konzept ihrer eigenen (A)Romantik haben. Wem das romantische Begriffekorsett zu eng ist, der lässt es im Kleiderschrank. Niemand muss sich ein Label aufdrücken, wenn das für ihn keinen Sinn ergibt. Und niemand sollte sich unter Druck gesetzt fühlen, seine Schublade zu finden, nur weil die asexuelle Gemeinschaft mit lauter asexinesischen Neologismen um sich schmeißt.

 

Siku

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Liebessprüche? Nein danke!

Wenn es von einer Sache auf der Welt nicht zu wenig gibt, dann von kitschigen romantischen Liebessprüchen, die für Liebe und Romantik einen universellen Status proklamieren. Romantik sei essentiell für die Zufriedenheit mit dem eigenen Leben, ein zentraler Part des menschlichen Daseins überhaupt und unabdingbar für eine gesunde Psyche. Ein Beitrag für alle, die von amatonormativen Statements genervt sind.

 

Im aromantischen Alltag fällt Amatonormativität besonders negativ ins Gewicht. Ob man amatonormative Aussagen in Texten liest, im Radio hört oder im Fernsehen sieht, immer implizieren sie, aromantische Personen seien als Menschen weniger wert, zerbrochen und unmenschlich.

 

Das Frustrierende daran ist, dass derlei Möchtegern-Philosophie von der Menge der romantischen Menschen dabei noch als ausnehmend tiefsinnig empfunden wird. Zudem macht es die Identifizierung und Akzeptanz von Aromantik für aromantische Menschen umso härter, denn sie müssen erst einmal durch die Lawine von Amatonormativität dringen, die sie als unvollständig und unglücklich begreift.

 

Eine Auswahl von vor Kitsch und romantischer Hybris triefenden Liebessprüchen, die man aromantischen Personen besser nicht an den Kopf wirft:

(Die Auffassung des Wortes ‚Liebe‘ ist dem gebräuchlichen Verständnis entnommen und kann daher jeweils mit ‚romantischer Liebe‘ übersetzt werden.)

 

Das Leben ist ein Spiel und Liebe ist der Preis.

An diesem Beispiel fällt sofort ins Auge, dass (romantische) Liebe einmal mehr als Lebenssinn postuliert wird. Aromantiker können sich also gleich demotiviert in den Sarg legen und darauf warten, dass alles vorbei ist. Wer möchte schon an einem Gewinnspiel teilnehmen, wenn er mit dem Gewinn nichts anfangen kann?

 

Die Liebe ist die Krone des Lebens.

Stolz präsentiert sich die Liebe als höchste Auszeichnung, denn sie adelt das liebende Individuum und überhöht somit. Nur Aromantiker gehören wieder einmal nicht zu den Blaublütigen und müssen dieser ‚Weißheit‘ zufolge mit nackigen Häuptern herumlaufen. Ein anschaulicher Vergleich für die unsinnige Diskrepanz in der Wertigkeit liebender und nicht-(romantisch)-liebender Menschen.

 

Die Liebe macht menschlich.

Jetzt ist es soweit. Alloromantische Menschen erklären alle, die nicht so sind wie sie, für Außerirdische. Ein trauriges Beispiel falsch verstandener Humanität.

 

Liebe ist es dann, wenn man auch schwere Zeiten zusammen übersteht und nicht aufgibt, auch wenn es manchmal hoffnungslos erscheint.

Natürlich kann nur die romantische Liebe Hürden überwinden, Hoffnungslosigkeit besiegen und Krisen überstehen. Auf die Idee, dass auch enge Freundschaft dazu in der Lage sein kann, kommt niemand.

 

Die Liebe ist manchmal das Traurigste, oft das Schönste und immer das Wichtigste im Leben.

Wieder steht die romantische Liebe in der Wertigkeit auf dem ersten Platz und lässt sich von allem, was sich darunter befindet, die rosafarbenen Schuhe küssen. Solche Non-Plus-Ultra-Sprüche sind der Grund, warum einige aromantische Menschen ihrem Leben keinen Wert beimessen und ihre romantische Orientierung zum Teufel wünschen.

Darum der folgende Hinweis: Was einer Person im Leben wichtig ist, kann man nicht über einen Kamm scheren, ohne zugleich dem Individualismus des Menschen eine Absage zu erteilen. Auch, wenn man diese Gefühlshierarchie bei dem ein oder anderen Intellektuellen lesen durfte, sie zu kopieren lässt einen auch nicht schlauer wirken.

 

Lieben heißt, einen Menschen so annehmen, wie er ist.

Wie kommt es dann, dass die meisten romantischen Beziehungen nur so vor Änderungsversuchen und dem Bestreben, sich sein Gegenüber zurechtzubiegen strotzen? Einen Menschen in seiner Totalität annehmen zu können darf gerne als besondere Eigenschaft zählen. Aber dieser Eigenschaft sollte nicht der Namen ‚Liebe‘ gegeben werden.

 

Die Freundschaft und die Liebe sind zwei Pflanzen an einer Wurzel. Die letztere hat nur ein paar Blumen mehr. (Friedrich Gottlieb Klopstock)

Auch metaphorisch ausgedrückt wird es nicht weniger amatonormativ. Liebe ist also reichhaltiger und schöner als die Freundschaft? Gottlieber Klopstock, dafür möchte man dich mit dem Stock verkloppen.

 

Die Liebe ist nicht ein, sondern der einzige Weg, um glücklich zu werden.

Das Märchen vom unglücklichen Aromantiker erreicht ein neues Level: Jetzt können Menschen dieser romantischen Orientierung im Leben überhaupt nicht mehr glücklich werden! Nein, Liebe ist bei Weitem nicht der einzige Weg, um glücklich zu werden, vielleicht aber der einfachste. Fix ein geeignetes Gegenüber suchen, rosa Brille aufsetzen und Hormoncocktail einwirken lassen.

 

Siku

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Meinten Sie Romantik?

Es gibt sie nach wie vor, die Stimmen, die Öffentlichkeitsarbeit und Aktivismus zugunsten der Aromantik für nichtig erklären. Angehörige dieser romantischen Orientierung haben durch diese keine Nachteile und werden nicht diskriminiert, so der Tonus. Wie kommt es dann, dass ‚Aromantik immer noch in keinem handelsüblichen Wörterbuch zu finden ist?

 

Aromantisch zu sein, das heißt im Wesentlichen, etwas nicht zu sein, nämlich romantisch im Sinne romantischer Gefühle für andere Individuen. Aromantische Menschen teilen also eine Nichtexistenz und man könnte sich fragen, warum Angehörige einer Nichtexistenz andere darüber informieren sollten, dass etwas für sie nicht existiert. Im Fall der Aromantiker sind das zwei Sachen. Zwei? Natürlich die Abwesenheit romantischer Gefühle, aber was ist es, war Aromantikern sonst noch fehlt? Etwas sehr Wichtiges, um der Marginalisierung und Pathologisierung dieser romantischen Orientierung entgegenzuwirken: Öffentliche Sichtbarkeit.

 

Kulturgeister

Es ist eine Sache, in einer Gesellschaft zu leben, die zu einem Löwenanteil aus Menschen besteht, deren Vorstellungskraft regelmäßig durch die Existenz von Aromantik gesprengt wird. Es ist eine andere Sache, dass diese Gesellschaft eine Kultur prägt, die sich nicht im Geringsten um die Interessen von Aromantikern schert und ihre Bedürfnisse abseits der pathologisierenden Schiene nicht zur Kenntnis nimmt.

Aromantische Menschen sind selbst im asexuellen Spektrum die Minderheit unter den Minderheiten und dürfen sich des zweifelhaften Ruhmes brüsten, zu den unsichtbaren Geistern der menschlichen Kultur zu zählen. Außer dem Mythos von der alten Jungfer, dem Märchen vom herzlosen Casanova und der Legende vom Soziopathen sind der breiten Masse über Aromantiker keine (Fehl)Informationen bekannt.

 

Wer Duden online zurate zieht, laut Startseite DIE Instanz für Fragen zur deutschen Sprache und Rechtschreibung, kann sich offiziell von der aromantischen Unsichtbarkeit überzeugen, denn ein Eintrag zur aromantischen Orientierung ist nicht vorhanden. Leider haben wir zu Ihrer Suche nach ‚Aromantik‘ keine Treffer gefunden. Stattdessen kommt der gutgemeinte Ratschlag der Linguisten: Oder meinten Sie: Romantik?

 

Aktivismus ist notwendig

Bildungspläne, Forschungsgelder, überhaupt erst einmal ein wissenschaftliches Interesse: all das geht an Aromantik vorbei. Die Ressourcen sind knapp und wer hier nicht aktiv wird und Sichtbarkeitsarbeit betreibt darf sich nicht wundern, warum der Duden immer noch in all seiner normierenden Deutlichkeit erklärt, dass ‚Aromantik‘ kein Wort ist, es Aromantik also gar nicht gibt. Wer nicht aktiv wird, kann niemals etwas verändern. Wer von besseren Zuständen träumt und nicht aufwacht, ebenfalls nicht.

 

Heute gezeigter Aktivismus kommt vielleicht nicht der eigenen Generation zugute und führt nicht in Sekundenschnelle zum ersten Wörterbucheintrag und der Aufnahme in den Bildungskanon.

In die Annalen der Geschichtsbücher eingehen wird man damit höchstwahrscheinlich auch nicht. Dafür ermöglicht er vielleicht nachfolgenden Generationen von Aromantikern ein Heranwachsen in einer vorurteilsfreien Gesellschaft: mit Toleranz, Sichtbarkeit und der Gewissheit, dass es sich bei Aromantik um eine gesunde romantische Orientierung handelt. Und natürlich mit einem Eintrag bei DER Instanz für deutsche Sprache und Rechtschreibung.

 

Siku

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Aromantische Bücherleichen

Auch aromantische Menschen wollen unterhalten werden! Die Suche nach aromantischer Literatur gestaltet sich allerdings als schwierig. Wer als Notbehelf zu romantischer Literatur greift, kann sich auf zum Teil seltsame, unbefriedigende und frustrierende Erfahrungen einstellen und generiert schnell einen ganzen Haufen aromantischer Bücherleichen.

 

Oftmals ist die romantische Literatur in erster Linie belanglos und somit ganz schön langweilig für Menschen, die nichts mit romantischer Beziehungsanbahnung anfangen können. Bücher, die zunächst aufgrund des Plots interessant gefunden wurden, werden auf halber Strecke entnervt zur Seite gelegt, wenn sich die obligatorische romantische Liebesszene anbahnt und verkommen zu aromantischen Bücherleichen. Weggelegt, vergessen, entwickeln sie einen Staubmantel und verrotten im Bücherregal.

 

Zudem ist bei der Lektüre romantischer Texte Vorsicht geboten, denn es fallen gerne klischeehafte Sätze wie Die (romantische) Liebe ist das wichtigste auf der Welt oder Ohne IHN/SIE wollte SIE/ER nicht mehr leben. Vom Schreiberling zur Steigerung der romantischen Dramatik eingestreut, implizieren solche Formulierungen, das Leben von aromantischen Menschen sei wertlos und unvollständig ohne einen romantischen Partner.

Alternativ wird gleich die gesamte Existenz von Aromantik entweder negiert oder pathologisiert, wenn romantische Liebe einen zunächst gefühlskalten Charakter von seinem „Problem“ heilt, verfeindete Clans zusammenführt oder sich als lange gesuchter Lebenssinn herausstellt.

 

Ganz zu schweigen von dem Gehirnwäsche-Faktor: Wer romantische Literatur möglicherweise seit frühester Kindheit konsumiert, was in einer romantikzentrierten Gesellschaft nicht unwahr-scheinlich ist, wird leicht dazu verführt, selbst an die normativen Feststellungen, romantischen Idealkonstrukte und Stereotype zu glauben, denen man in der Liebesliteratur begegnen kann.

Ist ein Aromantiker noch unsicher in seiner Selbstfindung und somit noch nicht ausreichend charakterlich gefestigt, können solche wiederholten Aussagen zu Minderwertigkeitskomplexen und negativen Gedanken führen inklusive dem Gefühl, mit der aromantischen Orientierung alleine auf weiter Flur zu stehen.

 

Es gibt nahezu keine Literatur über aromantische Menschen und Beziehungsformen, die Lesenden vor Augen führen, was es bedeutet, einen Menschen zu lieben, ohnen ihn romantisch oder sexuell zu begehren. Es gibt nicht viele Geschichten, die Freundschaft über romantische Beziehungen stellen. Wer fündig werden will, kann sich teilweise in der Kinderliteratur für eine 6-8-jährige Zielgruppe umsehen und muss mit dem gedanklichen Attribut der Unreife leben.

Kinder, so die landläufige Meinung, interessieren sich noch nicht ernsthaft für die romantische Liebe, weil sie ihre emotionale Entwicklung noch nicht abgeschlossen haben. Wohlgemerkt noch nicht, denn die amatonormative gesellschaftliche Erwartung verlagert ein romantisches Beziehungsinteresse mit prophetischer Gewissheit in die Pubertät.

 

Die generell in der Literatur vorherrschende Tendenz macht es also schwierig, Aromantik-kompatible Texte zu finden. Wobei an dieser Stelle nicht unter den Tisch fallen sollte, dass es auch aromantische Menschen gibt, die Freude an romantischer Literatur haben und sich mit den Charakteren zumindest teilweise identifizieren können.

 

Alternative Beziehungsformen

Für aromantische Personen wäre es dennoch wünschenswert, wenn es mehr literarische Darstellungen platonischer Liebe zwischen zwei Charakteren geben würde, die nicht durch irgendeinen Freudianer oder missgeleitete Fanfictions im Nachhinein wie als Trotzreaktion doch noch ein romantisches oder sexuelles Verhältnis angedichtet bekommen.

 

Aromantische Menschen wünschen sich mehr unkonventionelle Beziehungen in der Literatur.

 

Aromantische sexuelle Partnerschaften, die als bedeutsam, gesund und erfüllend dargestellt werden.

 

Aromantische asexuelle Partnerschaften, in denen der Mangel an Sex kein Indikator einer sterbenden Beziehung ist oder aus Angst, Unsicherheit und Komplexen resultiert.

 

Platonische Partnerschaften, die als gleichbedeutend mit romantischen Partnerschaften aufgefasst und auch so umgesetzt werden.

 

Zwischenmenschliche Beziehungsformen, die keinen physischen Kontakt beinhalten, sondern auf anderen Arten der Intimität und Zuneigung basieren.

 

Freundschaften zwischen Mann und Frau ohne jegliche Hinweise und Andeutungen romantischen/sexuellen Interesses.

 

Wer Literatur liest, will von der Handlung mitgerissen werden. Will mit den Charakteren mitfiebern und sich mit ihnen identifizieren können. Will sich über dem Buch entspannen können und sich nicht über amatonormative Stereotype aufregen.

Gäbe es mehr literarische Repräsentationen dieser Art, würden sich aromantische Menschen in ihrer Existenz ernstgenommen fühlen – und zudem gut unterhalten!

 

Siku

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Charakterlose Egoisten – Einige Gedanken zu sexuellen Aromantikern

Sex ohne eine wie auch immer geartete Beziehung zur Romantik hat keinen guten Ruf. Wer aromantisch und sexuell aktiv ist, macht sich als notorischer One-Night-Stand-Sucher, Affärenenthusiast und kalter Egoist verdächtig, dem es an Bindungswilligkeit und emotionaler Reife mangelt. 

 

Sie manipulieren, lügen und betrügen, um ihr Gegenüber durch Vorspiegelung falscher Tatsachen ins Bett zu bekommen. Es gibt keinen Trick, den sie nicht schamlos anwenden würden, um ihre sexuellen Gelüste an anderen Personen auszuleben und diese kaltblütig mit gebrochenem Herzen zurückzulassen. Denn ihnen sind die Emotionen anderer Menschen völlig egal – so viel zu den Klischees über sexuelle Aromantiker: sexuell aktive Personen, die keine romantische Anziehung zu ihren Sexualpartnern verspüren.

 

Obwohl sexuelle Aromantiker existieren, würden sie sich höchstwahrscheinlich nicht als solche identifizieren. Wer emotionale Bande zu anderen Personen knüpft und dabei sexuelle Anziehung verspürt und das in einer Kultur, die fortwährend romantische und sexuelle Orientierung miteinander verwechselt, wird sich – selbst wenn das nicht der Fall ist – für eine Person halten, deren romantische Orientierung mit der sexuellen Orientierung übereinstimmt.

Vielleicht auch deshalb, weil sexuelle Aromantiker keine romantischen Gefühle kennen und die sexuelle Anziehung, die sie zu anderen Personen verspüren, selbst mit romantischen Gefühlen verwechseln. Denn Sex scheint in der heutigen Zeit der Definition einer romantischen Beziehung gleichzukommen. Wer dabei noch freundschaftliche Gefühle für sein Gegenüber hegt, wird sich nicht als anders begreifen, auch wenn ihm romantische Gesten in der Beziehung schwerfallen.

 

Insbesondere, wenn Sex mit im Spiel ist, schlägt das kulturelle Konstrukt der Amatonormativität unbarmherzig zu. Die romantische Hierarchie fordert für das Idealbild der monogamen romantischen Zweierbeziehung den ersten Rang ein und wertet die Sexualität derjenigen als schlecht und minderwertig ab, die diese nicht an die Romantik binden. Wer Sex und Liebe klar trennen kann und das auch so lebt, gilt als charakterlich defizitär und moralisch verwerflich. Mit einem solchen Verhalten kann man sich doch nur das Hintertürchen für viele sexuelle Kontakte und Unverbindlichkeit offenhalten wollen...und dabei einen Scherbenhaufen hinterlassen!

 

Dabei müssen sexuelle nichtromantische Beziehungen nicht zwingend oberflächliche One-Night-Stands oder kurze Affären sein. Natürlich kann auch das der Fall sein und es wird einige Leute geben, die genau diese unverbindlichen Begegnungen genießen. Aber viele Menschen nehmen zu Unrecht an, dass dieses Schwarzweißbild auf alle aromantischen Sexuellen zutrifft.

Fakt ist: Es ist möglich, Sex außerhalb des Kontextes einer romantischen Liebesbeziehung zu haben und dabei keinen der Involvierten zu verletzen. Ob es sich um eine angestrebte längerfristige Partnerschaft, das Friends-With-Benefits-Modell oder einen One-Night-Stand handelt: Das A und O ist eine offene und ehrliche Kommunikation aller Beteiligten, um Missverständnisse zu vermeiden und falschen Erwartungen zuvorzukommen.

 

Der Schmetterlinge-im-Bauch-Effekt, Küsse, Händchenhalten und Kuscheln mögen in aroman-tischen Beziehungen wegfallen, dennoch können sexuellen Aromantikern die Gefühle ihres Gegenübers wichtig sein. Denn es gibt sie auch: Diejenigen, die ihre Sexualpartner leidenschaftlich gerne haben, deren gegenseitige Verbindung an emotionaler Intensität einer engen Freundschaft gleichkommt, die einander auch ohne romantische Gefühle ernstnehmen und die vielleicht trotz Differenzen in der romantischen Orientierung eine Langzeitbeziehung anstreben – zwar ohne Romantik, aber ganz sicher nicht ohne Gefühle!

Wo die romantischen Aspekte einer Beziehung nicht erwünscht sind, kann die freundschaftliche Ebene und das Vertrauen dem anderen gegenüber sehr wichtig sein – und ebenfalls die Grundlage für eine innige Bindung bilden.

 

Anmerkung zum Text: Bei den oben stehenden Ausführungen handelt es sich lediglich um meine subjektive Perspektive. Ich identifiziere mich nicht mit sexueller Aromantik und kann daher über die Lebensrealität und Gefühlswelt dieser Menschen nur spekulieren.

 

Siku

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Ich akzeptiere alles, solange es so ist wie ich!

Ein Gastbeitrag mit dem Aufruf zur Toleranz von Andersartigkeit.

 

*tap tap* Ist das Mikro schon an? *räusper*

 

[Smetanas „Moldau“ ertönt] Unsere wunderschöne, tolerante Gesellschaft. Sie toleriert alles und kämpft für alles. Für das Adoptionsrecht, für Gleichgeschlechtliche, für die Frauenquote, für die Umschreibung uralter Märchenbücher zwecks politisch korrekter Schreibweise, für genderneutrale Berufsbezeichnungen, für das Wahlrecht für kürzlich Verstorbene, damit man ein Denkmal gegen die Diskriminierung von Toten setzt und für eine Einschränkungsklausel gegen Einschränkungen.

Ja, die Gesellschaft kämpft für alles und toleriert alles! Ob du hetero bist, ob du homo bist, ob du bi bist und seit „Fifty Shades of Grey“ toleriert sie es auch, wenn du dir gerne den Hintern versohlen lässt.

Du darfst all das sein und noch mehr, aber [Nadel-rutscht-von-der-Platte-Sound] du darfst nicht garnichts davon sein. Zumindest nicht, bevor ein Hollywoodfilm Garnichts-Davon-Sein zum neuen Trend erhoben hat. Immerhin hätten wir auch nie erfahren, dass wir uns nicht über Designermöbel und Geld definieren, hätte es „Fight Club“ nicht gegeben, nicht wahr?

 

Och Leute...

Ich weiß nicht, wie es euch geht, aber gerade in der letzten Zeit häufen sie sich wieder, die ganzen Leute, die einem absprechen wollen zu sein, was man eben ist, indem sie irgendwelche Gründe er- finden und diese wie ne Papiertüte über deinen Kopf stülpen. Leute, die meinen, sie hätten mehr Expertise über deine Lebenslage als du selbst und dann auch noch den mahnenden Zeigefinger schwenken, solltest du empört reagieren oder in Rage geraten ob dieser Dreistigkeit. Leute, die sich mit einem frommen Lächeln im Gesicht das Tolerant-Stickerchen an die Weste heften und laut eigener Aussage absolut kein Verständnis dafür haben, wieso manche Menschen ein Problem mit [insert random jüngst salonfähig gewordenes Irgendwas] haben, aber witzigerweise in ganz genau dasselbe Verhaltensmuster rutschen, sollte dein „Irgendwas“ nicht in dieser Liste der jüngst salonfähig gewordenen Irgendwasse auftauchen.
Dann werden wie von Geisterhand plötzlich genau dieselben hanebüchenen Argumente ausgepackt wie damals noch bei den Homosexuellen: Du bist krank, du hast Angst vor Bindungen, du hast ein Trauma, du hast den Richtigen noch nicht gefunden, du hast ne gestörte Vater/Mutterbeziehung, du hast Krebs, du solltest dir Zahnpasta ohne Fluorid kaufen und überhaupt – trinkst du auch drei Liter am Tag?

 

Das kennen wir schon. Das war ja nie anders. Sowas hören wir seit Jahren, sowas sind wir gewohnt. Alles läuft eben darauf hinaus, dass du in die Pflichtposition gedrängt wirst, dich zu ändern, damit die anderen nicht über die Dinge nachdenken müssen, die ihnen eh egal sein könnten. Es scheint für diese Leute einfacher und selbstverständlicher, dass man mal eben seine gesamte Persönlichkeit für sie ändert, als Akzeptanz dafür aufzubringen, dass der andere eben anders ist. Und wenn du schon nicht gewillt bist, dich mal eben zu einer neuen Person zu transformieren, dann hast du gefälligst zu verschweigen, dass du anders bist, denn was sollen denn die Leute denken?

Wenn „die Leute“ nur mit mir klarkommen, wenn ich ihnen vorspiele, jemand zu sein, der ich nicht bin, geht es dann eigentlich noch um mich als Menschen und Individuum? Warum hat man sich dann nicht direkt jemanden geholt, der „so ist“, statt von jemandem, der nicht „so ist“ zu verlangen, vorzuspielen, er „sei so“. For the sake of was eigentlich genau? Bisher konnte mir noch niemand wirklich plausibel erklären, warum ich denn „so zu sein“ habe. Und was genau eigentlich diejenigen, die das von mir verlangen, davon haben, wenn es denn möglich wäre.

 

Manchmal hab ich den Eindruck, es geht eigentlich nur darum, dass man von seinem Selbstbestimmungsrecht Gebrauch macht, sich dem anderen zu verweigern, obwohl keine „triftige“ (= für andere Leute als gültig empfundene) Ursache vorhanden ist. In einer Gesellschaft, in der Lebewesen zu Dienstleistern und Dienstleistungen gemacht werden, ist das vermutlich auch wenig verwunderlich. Genauso wie es deine Pflicht ist zum Arzt zu gehen, wenn du krank bist, um wieder für den Arbeitsmarkt verfügbar zu sein, wird es als deine Pflicht angesehen, dich zum heteroromantisch/sexuellen Menschen umzufunktionieren, damit irgendjemand anders aus dir seinen romantischen und sexuellen Nutzen ziehen kann.

 

Ein „Nein!“ wird nicht als „Nein!“ akzeptiert, sondern zu einem „Ich muss mich nur genug anstrengen, dann ja!“ umdefiniert und „kurierbare“ Gründe für das „Nein“ hinzugedichtet, die man nur beseitigen muss, damit endlich das „Ja“ kommt – und damit der eigene Wille der Person völlig übergangen. Quizfrage: Wie kann man eigentlich derart respektlos gegenüber der Person sein, von der man ja behauptet, sie aufrichtig zu lieben?

 

Du stehst also in der Pflicht, dich „kurieren“ zu lassen. Aber nicht, weil es DIR dann besser ginge, denn du hast ja keinen Leidensdruck nein. Sondern, damit es dem anderen besser geht und er von dir bekommt, was er will, denn er hat den Leidensdruck, den du nicht hast. Du sollst also stellvertretend für ihn zum Arzt gehen und zu einem anderen Menschen werden, damit der andere so bleiben kann, wie er ist.

Guter Plan. Wundert sich da noch irgendjemand, warum einem da der Kragen platzt? Und ich denke, der Kragen wäre noch intakt, wenn man sich nicht schon sein ganzes Leben lang immer und immer wieder denselben Käse anhören müsste und von einem nicht immer und immer wieder verlangt würde, sich entweder zu ändern oder zu schweigen. Nein, das macht keinen Spaß. Und zwar nicht wegen der Orientierung, sondern wegen dieser verdammten Inakzeptanz.

 

Bevor man sich also das nächste Mal darüber echauffiert, dass der Salzstreuer immer noch Salzstreuer heißt anstatt Salzstreuer/in, sollte man einfach mal überlegen, ob es da nicht eventuell jemanden im nahen Umfeld gibt, den es viel mehr kränkt, wenn man ihn in seiner Person und in seiner Selbstbestimmung nicht ernstnimmt, als den verfluchten Salzstreuer.

 

Kødhoved

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Willkommen in der Pärchen-Diktatur

Romantische Liebe ist die erfolgreichste Ideologie des 21. Jahrhunderts. Kaum jemand zweifelt dieses Konstrukt an oder übt gar öffentliche Kritik an dem Zwang der Verpartnerung. Die Reaktionen auf derart blasphemische Äußerungen gleichen zuweilen denen einer Gotteslästerung. Dabei können alloromantische Menschen in einigen Punkten auch von der Sichtweise aromantisch orientierter Menschen profitieren.

 

Paare sind die Regel, Singles die Ausnahmeerscheinung. Das ist die Kernaussage, die jeder alleinstehenden Person wie ein Mantra immer wieder ins Gedächtnis gerufen wird. Ob es die wohlmeinenden Freunde sind, die mit Beharrlichkeit bei jedem Treffen aufs Neue nach dem nächsten Partner fragen; Bekannte, die für Dauersingles ungefragt Verkupplungsversuche starten oder irgendein x-beliebiges Medium, das die romantische Zweisamkeit mit ermüdender Hartnäckigkeit als Lebensziel proklamiert. Ständig wird aromantischen Menschen von der Außenwelt signalisiert, das singuläre Leben sei unnormal, defizitär und möglichst schnell ad acta zu legen.

 

Wer sich dem Diktat der Zweisamkeit nicht beugen will, hat heutzutage immer noch keine rosigen Aussichten. Das sieht man alleine an den Reaktionen auf paarkritische Äußerungen. Wer sich einer Gruppe überzeugter Romantiker stellt und entschieden verkündet, dass die romantische Liebe überbewertet ist, kann sich ein Aromantik-Bingo zur Hand nehmen und sich sicher sein, dass am Ende der Diskussion hinter jedem nur erdenklichem Vorurteil ein fetter Haken stehen wird.

 

Bei den teilweise verständnislosen und empörten Reaktionen einiger Romantiker könnte man meinen, Aromantiker wollten ein kollektives Pärchen- und Liebesverbot durchsetzen und andere mit ihrer Weltsicht missionieren, um die romantische Liebe auszurotten. Das Gegenteil ist der Fall: Aromantiker kritisieren die romantische Ideologie nur aus einem Grund: Sie lässt keinen Platz für aromantisch orientierte Menschen und suggeriert so, Aromantik sei nicht existent und in ihrer Andersartigkeit pathologisch.

 

Singuläre Phasen als Entwicklungsmöglichkeit

Dabei besitzen aromantische Menschen eine entscheidende Qualität, die auch für alloromantische Menschen relevant ist. Ob es das ganze Leben betrifft oder im Falle von Romantikern einzelne Lebensabschnitte: die bewusste Entscheidung für ein Leben als Single bietet Vorteile, die angesichts der Omnipräsenz der Zweisamkeit häufig unter den Tisch fallen.

 

Neben praktischen Vorteilen wie persönlichen Freiräumen für Freundschaften und Hobbys, größerer Spontanität und weniger Einschränkungen bietet das bewusste Alleinsein immer auch die Chance, in sich hineinzuhorchen und die eigene Persönlichkeit weiterzuentwickeln. Wer mit sich alleine sein kann, hat einen großen Schritt zur Selbstakzeptanz getan und kann mit dem Wissen, alle wichtigen Dinge des Lebens selbst regeln zu können, auch seinem Selbstbewusstsein einen gehörigen Anschub verleihen.

 

Siku

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Hilfe, Psychopathen!

Wer sich im Internet nach Menschen erkundigt, die sich nicht verlieben können, bekommt Abenteuerliches geboten. Schnell macht sich der Eindruck breit, dass Aromantik demnächst feierlich in den ICD-10 als kuriose Abart psychischer Krankheiten aufgenommen wird. Gratis dazu gibt es die fachmännische Diagnose: Aromantiker sind Psychopathen – oder Soziopathen. Am besten gleich beides auf einmal!

 

Am besten, man wundert sich zunächst gar nicht über die erstaunliche Anzahl psychologisch qualifizierter Menschen, denen man im virtuellen Netz begegnen kann, wenn es um das Thema Aromantik geht. Handelt es sich bei den Aromantikern um noch junge Menschen, greift oft die allseits beliebte DER/DIE-Richtige-Floskel, der sich bislang einfach noch nicht gezeigt habe. Alternativ wird auf ein unverarbeitetes Trauma oder eine Bindungsstörung hingewiesen. Aber spätestens, wenn die 25 überschritten ist, werden die kritischen Stimmen kräftiger und die Laiendiagnosen lauter: Wer sich in kein menschliches Individuum verknallt, hat gefälligst ein Soziopath oder ein Psychopath zu sein! In solchen Fällen sind die Sicherungen durchgebrannt und betreffende Personen haben selbst einen gewaltigen Knall!

Mit diesem Irrglauben gehen romantisch orientierte Menschen gerne in den Angriffsmodus über, wenn sie über Aromantik stolpern und behelfen sich lieber mit hanebüchenen Anschuldigungen, als das vorgefasste Weltbild zu überdenken und gegebenenfalls umschreiben zu müssen. Geistige Flexibilität sieht anders aus.

 

Das Problem bei den Begriffen, die aromantischen Menschen hier entgegen geschleudert werden, ist ihre vage Definition. Die psychologischen Kriterien sowohl für Psychopathen als auch für Soziopathen sind schwammig formuliert und verdüstern das Bild eher, als dass sie es erhellen würden. In der öffentlichen Wahrnehmung werden beide ‚Störungen‘ oft als asozial missverstanden und hier liegt offensichtlich der Vergleichspunkt mit Aromantikern. Denn die, so das allgemeine Vorurteil, lehnen nicht nur romantische Beziehungen ab, sondern gleich jegliche Beziehung zu anderen Menschen. Und wer eine solche Einstellung vertritt, kann offenkundig auch über keinerlei Empathie oder Mitgefühl verfügen. (Man beachte, wie Verliebtheit hier fälschlicherweise mit allgemeiner Liebes- und Emotionsfähigkeit gleichgesetzt wird!)

Damit sind die Assoziationen zu beiden Krankheitsbildern perfekt und die frisch gebackenen aromantischen Psychopathen und Soziopathen bevölkern als obskure Nachtgestalten die roman-tische Fantasie. So weit, so schlecht.

 

Verliebtheitsgefühle als soziale Kompetenz?

Nur zu häufig wird in der Diskussion um Aromantik der Vergleich mit romantisch orientierten Menschen gesucht und es braucht keine hellseherischen Fähigkeiten, um vorauszusagen, wer dabei besser abschneiden wird: Es sind die Romantiker. Verliebtheitsgefühle werden zum unwiederbringlichen Beweis höchster sozialer Kompetenz stilisiert und teilweise obendrein auch noch als dem sozialen Menschen genetisch eingeschrieben erklärt. Romantiker als die guten Menschen schlechthin und aromantische Menschen als die schwarzen, sozial inkompetenten Schafe.

 

Allein die Existenz von Aromantik beweist aber, dass es sich bei der Fähigkeit, sich zu verlieben, um keine genetische Eigenschaft handeln kann. Es ist unnötig, zu erwähnen, dass hier ein hormongesteuerter Rauschzustand überbewertet und Aromantik im Gegenzug abgewertet und verzerrt wird. Denn Aromantiker verfügen jeweils im individuellen Maße über Empathie und über Sozialkompetenz, manche haben davon mehr, manche weniger. Bei romantischen Menschen sieht es da im Übrigen auch nicht anders aus.

 

Die Erkenntnis, zu der uns dies führt: Aromantiker können Soziopathen oder Psychopathen sein, genauso wie romantisch orientierte Menschen. Aber das Vorurteil, derlei laienpsychologisch zugeschriebene Attribute an der romantischen Verliebtheit festzumachen und daraus allgemeine Sozialkompetenzen ableiten zu wollen, ist ein Irrglauben, der sich nicht halten lässt.

 

Siku

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Plädoyer für die Freundschaft

Eine aromantische Beziehung klingt für viele zunächst einmal nach einem Paradoxon. Schließlich bezeichnet Aromantik die Abwesenheit romantischer Gefühle und eine Beziehung scheint das genaue Gegenteil zu implizieren. Wer aber hat den Begriff der Beziehung dahingehend definiert, dass er ausschließlich und exklusiv für romantische Beziehungen gilt? Und ist es nicht an der Zeit, der Freundschaft innerhalb der Beziehungshierarchie zu ihrem Recht zu verhelfen?

 

Eine Beziehung, ebenso wie eine Partnerschaft, ist aus linguistischer Perspektive zunächst völlig wertfrei eine zwischenmenschliche Beziehung, das heißt eine Verbindung zwischen zwei oder mehreren Individuen. Dass dieser an und für sich neutrale Terminus aber heutzutage so romantisch konnotiert ist, verwundert aus der Sicht eines Aromantikers. Dass die meisten Menschen Beziehungen mit romantischen Gefühlen assoziieren, liegt an dem Primat des romantischen Weltbildes in unserer Gesellschaft. Das Wort ‚Beziehung‘, so suggeriert es die Mehrheit der Romantiker, gilt exklusiv nur für Liebesbeziehungen und nicht für die als minderwertig aufgefasste Freundschaft.

 

Was aber ist eine Freundschaft? Nichts anderes als eine Beziehung zwischen zwei Individuen auf Basis von Sympathie und Zuneigung. Erscheint es da nicht lächerlich, dass nur romantische Beziehungen es wert sein sollen, überhaupt als ‚Beziehung‘ bezeichnet zu werden?

Auch aromantische Personen denken teilweise in diesen romantischen Kategorien und betonen, dass sie sich eine nichtromantische Beziehung oder Partnerschaft wünschen. Wer sich eine solche Bindung zu einem anderen Individuum wünscht und dies als ‚aromantische Partnerschaft‘ betitelt, sollte sich bewusst sein, dass er in diesem Punkt die Denkweise romantischer Personen und deren soziale Beziehungshierarchie adaptiert hat, die ihm von klein auf indoktriniert worden ist: nur Beziehungen sind höherwertige emotionale Verbindungen.

 

Aromantische Beziehungen

Aromantiker sollten keine Angst davor haben, das Wort ‚Freundschaft‘ zu benutzen, um ihrem Beziehungswunsch Ausdruck zu verleihen. Denn de facto ist eine nichtromantische Partnerschaft eine Freundschaft und man sollte als Aromantiker dazu stehen, der Freundschaft in seinem Leben einen so zentralen und hohen Stellenwert zuzugestehen. Freundschaft ist für Aromantiker nämlich das nichtromantische Äquivalent zu den romantischen Beziehungen der anderen. Sie ist weder weniger wert noch potentiell weniger emotional und innig als romantische Liebesbeziehungen.

 

Wenn nun ein aromantischer Mensch entgegnet, dass alle Freundschaften, die er bisher mit romantischen Personen geführt hat, in keinster Weise mit seiner Vorstellung einer aromantischen Partnerschaft mithalten konnten und er deswegen den Begriff der Beziehung oder Partnerschaft gebraucht, gibt es auch dafür eine Lösung: Aromantische Freundschaften! Bei dem oftmals stark unterschiedlichen Wert, den Romantiker und Aromantiker Freundschaften beimessen, ist es nur natürlich, dass romantische Menschen aus der Sicht der Aromantischen in Freundschaften ‚versagen‘, wenn sie diese als einer Liebesbeziehung nicht ebenbürtig begreifen.

 

Dabei ist Freundschaft nicht auf die marginale Rolle limitiert, die sie in der romantischen Gesellschaft inne hat. Aromantische Menschen schätzen Freundschaften als das höchste Gut und gestalten die Beziehungen zu ihren Freunden auch dementsprechend. Und wenn sich daraus eine nichtromantische Partnerschaft mit einem Aromantiker ergibt, bleibt auch diese trotz ihrer Exklusivität in ihrem Wesen weiterhin eine Freundschaft.

 

Der Wert der Freundschaft

Es ist an der Zeit, Freundschaften nicht nur im eigenen Leben zu respektieren, sondern auch insgesamt als eine soziale Beziehungskategorie höher zu werten. Ihr kommt eine Schlüsselrolle in der Lebenswelt aromantischer Menschen zu. Sie ist immer genau das, was zwei beteiligte Menschen daraus machen und in keinster Weise lediglich auf unverbindliches, oberflächliches und lockeres Entertainment verpflichtet, das weit hinter der Intensität einer romantischen Liebesbeziehung zurücksteht.

 

Siku

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Spieglein, Spieglein an der Wand...

…zeig mir den unglücklichsten Single im ganzen Land!  Wie das psychologische Konzept der Projektion zu Vorurteilen über Aromantik führt.

 

Gleich vorneweg: Gegen Menschen, die aufgrund persönlicher Umstände trotz Beziehungswunsch noch keinen Partner hatten oder gegen solche, die nach der letzten Beziehung zum frustrierten Dauersingle mutiert sind, soll hier kein Kriegsbeil geschwungen werden. Die Klischeevorstellungen, die die kollektive Mentalität aus den Lebensentwürfen dieser Menschen generiert, erweisen sich allerdings als überbordender Quell voller unerwünschter Vorurteile gegenüber Aromantikern.

 

Im romantischen Weltbild ist eine Partnerschaft der Weg zur Glückseligkeit und die Abwesenheit derselben kommt einer Garantie fürs persönliche Unglück gleich. Wer das eigene romantische Weltbild auf aromantische Menschen projiziert und diese somit zu infantilen, unglücklichen Mängelwesen degradiert, sollte sich bewusst machen, dass zwischen Aromantikern und frustrierten Dauersingles oder ABs keine Schnittmenge besteht.

Freiwilligkeit und Leidensdruck sind hier zwei ganz entscheidende Begriffe, denn ein Aromantiker favorisiert den partnerlosen Lebensentwurf und verspürt dabei keinerlei Leidensdruck, während unglückliche Singles und ABs sich nach erfüllender Partnerschaft sehnen und unter der fehlenden Zweisamkeit leiden.

 

Aus der Not eine Tugend machen                                                                                 

Projiziert man die Klischeevorstellungen frustrierter Alleinstehender auf die im Regelfall ebenfalls alleine lebenden aromantischen Menschen, erscheint Aromantik schnell als elegante und unverfängliche Antwort auf die Drangsalierung  durch Außenstehende. Auf die drängenden Fragen nach der nächsten Partnerschaft, die in besagten Klischeevorstellungen für Dauersingles und ABs gerne als unerreichbarer Heiliger Gral dargestellt wird, lässt sich überzeugend mit dem Satz antworten, dass der betreffende Single gar keine Partnerschaft sucht, alleine glücklich ist und jetzt erst die Freiheit des Lebens genießen kann. Aus der Not der fehlenden Verpartnerung wird im Handumdrehen die Tugend selbstbewusster Autonomie.

 

Der Grund für jene Antworten, die in den besprochenen Beispielen unglücklicher Singles gerade nicht der Wahrheit entsprechen, liegt in der Stigmatisierung von Langzeitsingles und ABs in der heutigen Gesellschaft. Wer trotz dem Wunsch nach einer Partnerschaft auch nach langem Suchen keinen Partner findet, hat offensichtlich ein paar Leichen im Keller. Mit diesem Menschen stimmt doch etwas nicht! Sei es das Äußere oder das Innere, irgendetwas hat da einfach faul zu sein!

Unbeachtet bleibt bei diesen Annahmen, dass Menschen in Beziehungen keinesfalls alle ambitionierte Perfektionisten sind, die auf jeder Ebene des Lebens im Erfolg nur so schwimmen und deren goldener Charakter nur noch durch das atemberaubende Äußere in den Schatten gestellt wird.

 

Achtung, unreflektierte Projektion!

Projektion ist ein tiefenpsychologisches Konzept, das ziemlich gut erkannt werden kann, hat man einmal die zugrunde liegenden Muster analysiert. Eigene Eigenschaften, Schwächen oder Probleme werden aus dem eigenen Erfahrungshorizont heraus und aus Gründen der Wahrscheinlichkeit auf andere Menschen übertragen. Von sich auf andere schließen als Mittel der Welterklärung.

 

Wer sich selbst ohne Partner als unvollständig begreift, tendiert leicht dazu, diese Mangelerfahrung auch auf andere partnerlose Menschen zu übertragen. Wer selbst als frustrierter Single die Wunden seiner letzten Beziehung leckt, wird ähnliche Enttäuschungen auch hinter der Beziehungslosigkeit anderer vermuten. Wer Beziehungsarbeit als fordernd und anstrengend erlebt, hält es für wahrscheinlich, dass diese Mühen auch von anderen gescheut werden. All diesen Annahmen ist gemeinsam, dass sie von außen allein aufgrund persönlicher Erfahrungswerte auf andere Menschen projiziert werden.

 

Es gilt jedoch zu beachten, dass Aromantik als Orientierung keine elegante Lösung für die nervigen Nachfragen der Verwandtschaft ist und auch keine Kapitulation angesichts der als zu hoch empfundenen Anforderungen für eine Partnerschaft darstellt. Wer von solchen Annahmen ausgeht, erweist sich als menschlicher Projektor, der die Lebensentwürfe anderer Menschen gnadenlos den eigenen Maßstäben anpasst und seine Interpretation der Realität für bare Münze nimmt.

 

Handelt es sich bei dieser Interpretation nun zwangsläufig um die Wahrheit? Nein! Jeder Mensch ist in seiner Individualität zu erfassen und nicht über spiegelhafte Projektionen, die durch das eigene Empfinden und gesellschaftliche Klischees gespeist werden. Der Spiegel, in den man sieht, zeigt nämlich immer nur das eigene Gesicht.

 

Siku

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Romantische Liebe als Formschablone

Kaum ein Mythos überstrahlt die Gegenwart so sehr wie der Leitstern der romantischen, einzig wahren und für die Ewigkeit gemachten Liebe. Die Suche nach erfüllender Zweisamkeit erscheint als einziger Lebensentwurf, der nie hinterfragt wird und gipfelt nur zu gerne im fulminanten Höhepunkt der Hochzeit in Weiß. Doch was ist mit denen, die mit diesen amourösen Verlockungen so gar nichts anfangen können?

 

Es ist schon in einigen Artikeln auf den pseudoreligiösen Charakter der romantischen Liebe verwiesen wurden. Tatsächlich erscheint die romantische Liebe als Sehnsuchts- und Glückseligkeitstopos. Nicht wenige alloromantische Menschen glauben an den Traumpartner wie an einen gütigen Gott, versprechen sich von der erhofften Liebesbeziehung eine Erlösung und erwarten, dass der Partner ihnen die Pforte zum vielgelobten Paradies öffnet und ihnen dort nie gekannte Wonnen beschert. Die Mittel dazu liegen auf der Hand, man kann sie tagtäglich auf den Straßen beobachten: Küsse, Umarmungen, Streicheleinheiten, Händchenhalten und weitere Zärtlichkeiten aus dem romantischen Repertoire. Romantische Liebe als die ultimative Antwort auf die menschliche Sinnsuche.

 

Wo Romantikern vor freudiger Erwartung bereits die rosa Brille auf die Nase schwebt, stehen aromantische Menschen dem Phänomen der romantischen Liebe nüchtern gegenüber. Sie registrieren die Anstrengungen, die ihre romantischen Mitmenschen für eine Liebesbeziehung in Kauf nehmen. Sie wundern sich verständnislos über das Leid, das unrealistische Partnerschaftserwartungen mit sich bringen. Manchmal amüsieren sie sich auch über partnerschaftliche Verhaltensweisen, wenn der Mausepups dem Bussibärchen die letzte Gabel vom Teller stiehlt. Immer aber bleibt ihnen der Sinn dieser Welt verschlossen, zu der nur Zutritt hat, wer sich verlieben kann und in der Lage ist, Schmetterlinge im eigenen Bauch zu züchten.

 

Romantische Liebe ist omnipräsent

Gegen den heutigen Liebeskult wäre rein gar nichts einzuwenden, wenn er nicht wie eine Lawine über diejenigen hinweg rollen würde, die mit Beziehungskram und romantischen Liebesgefühlen wenig am Hut haben. Die romantische Liebe durchflutet die Handlung von Büchern, zaubert Klischees auf die Leinwände und setzt sich als Idealvorstellung im Kopf romantischer Menschen fest. Es gibt kaum einen Ort, wo man ihr nicht begegnen kann. Sie ist im Alltag allgegenwärtig, grüßt von Werbeplakaten und strahlt in Form glitzernder und blinkender Herzchensymbole in die Welt hinaus.

 

Dass diese Omnipräsenz auch ihre Schattenseiten hat, sieht man an dem traurigen Schicksal derjenigen Aromantiker, die sich selbst für ihr fehlendes Verliebtheitsgefühl als minderwertig erachten. Viele aromantische Menschen lassen sich nach wie vor von ihren romantischen Mitmenschen oder dem medial repräsentierten Liebesideal einreden, dass sie krank seien. Dass mit ihnen etwas nicht stimme und sie in dieser Welt falsch wären. Einige schlucken diese bitteren Pillen und glauben fortan selbst daran, dass sie auf der Sinnsuche des Lebens versagt haben und ihre Existenz keine Bedeutung haben kann, wenn sie weder mit einem Partner noch mit reichlich Nachwuchs aufwarten können.

 

Kein Platz für Diversität?

Vielleicht ist es Zeit, das romantische Liebesideal als die Seifenblase zu zerplatzen, die es in Wirklichkeit ist. Liebe ist vielfältig, ihre Erscheinungsformen können nicht nur romantisch, sondern auch platonisch sein. Sie kann ein paar Wochen andauern oder ein Leben lang. Aber es ist unsinnig, Gefühle in eine Formschablone zwängen zu wollen, die auf jeden Menschen passt und bis ans Lebensende ihre Gültigkeit behält. Nicht nur Aromantikern ist sie zu eng, ein Blick auf heutige Scheidungsstatistiken zeigt: auch für viele alloromantische Menschen gibt es kein ‚Für immer und ewig‘ mehr.

 

Romantiker wie Aromantiker sollten Liebe, Zuneigung und Verbundenheit innerhalb ihrer romantischen beziehungsweise platonischen Beziehungen so definieren, wie es für alle Beteiligten passt und die Diversität romantischer Orientierungen akzeptieren. Es gilt in beiden Fällen, sich an kein gesellschaftlich indoktriniertes und von außen aufgezwungenes Liebesideal zu halten, sondern an die eigenen Gefühle. Damit kann man nichts falsch machen.

 

Siku

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Geschichten aus dem Märchenland: Aromantik und Vorurteile

Aromantik gehört nach wie vor zu den eher exotischeren Lebensrealitäten des 21. Jahrhunderts. Und wie das so bei Unbekanntem ist, ranken sich auch um die aromantische Orientierung dubioses Halbwissen und diverse Vorurteile, die eigentlich ins Reich der Mythen und Legenden gehören.

 

1. Aromantiker haben einfach noch nicht den Richtigen getroffen!

Falsch! Für aromantisch orientierte Personen gibt es keinen Wunschpartner, bei dem sie wie von Zauberhand plötzlich auf Knutschen und Fummeln stehen. Die Sehnsucht nach einer romantischen Partnerschaft ist schlichtweg nicht vorhanden.

 

2. Wie kann jemand aromantisch sein, wenn er noch nie in einer Beziehung war?

Das Wissen um die eigene aromantische Orientierung ist mit dem Wissen jeder anderen romantischen Orientierung vergleichbar und dieser Vorwand deswegen ein ganz schlechtes Argument. Oder ist jeder heteroromantische/-sexuelle Mensch potentiell homoromantisch/-sexuell, weil es ihn bisher noch in keine gleichgeschlechtliche Partnerschaft gezogen hat?

 

3. Aromantik ist das Resultat vergangener schlechter Erfahrungen.

Auch ohne bisherige Beziehungserfahrung kann jemand aromantisch sein. Und selbst, wenn es einen Aromantiker bisher in eine romantische Beziehungskiste verschlagen hat, ist es sehr wahrscheinlich, dass er diese gerade wegen seiner Aromantik in schlechter Erinnerung behalten hat. Einem aromantischen Menschen gefällt das typische Partnerschaftsgedöns einfach nicht.

 

4. Aromantische Menschen wünschen sich prinzipiell keine Beziehung.

Teilweise ist bei aromantisch orientierten Personen dennoch der Wunsch nach einer exklusiven Beziehung vorhanden – die Parameter hierfür richten sich aber nach den individuellen Vorlieben und nicht nach dem gängigen Partnerschaftsmodell, weshalb diese Beziehungen oftmals eher innigen Freundschaften ähneln. Viele Aromantiker bevorzugen auch das Wort 'Freundschaft' für diese Art aromantischer Verbindungen, möchten sich durch den Begriff der 'aromantischen Beziehung' aber von der gesellschaftsbedingten Abwertung der Freundschaft distanzieren und deutlich machen, dass sie ihre Beziehung als gleichberechtigt mit einer romantischen Beziehung begreifen.

 

5. Aromantik gibt es gar nicht!

Ein besonders schöner Punkt, der darauf zurückzuführen ist, dass das Vorstellungsvermögen einiger Menschen mit dem eigenen Horizont verschwimmt. Nur, weil Aromantik bisher noch nicht sehr präsent in der Öffentlichkeit ist, heißt das nicht, dass sie deswegen nicht existieren kann.

 

6. Aromantiker reden sich nur ein, mit ihrer Situation als Langzeitsingle glücklich zu sein.

Erstaunlich, dass einige sich anmaßen, über Empfindungen anderer Menschen urteilen zu können. Aromantiker sind mit ihrer Situation ohne romantischen Partner selbstverständlich glücklich. Man sollte sich an dieser Stelle von dem Klischee des unglücklichen, frustrierten Dauersingles befreien und es nicht auf aromantisch orientierte Menschen übertragen.

 

7. Aromantiker sind bindungsunfähig und haben nur Angst, partnerschaftliche Nähe zuzulassen.

Aromantische Personen wollen keine romantische Partnerschaft eingehen, das stimmt. Sind sie deswegen gleich bindungsgestört? Nein! Das Spektrum zwischenmenschlicher Beziehungen ist ein Breites, das auch freundschaftliche und familiäre Beziehungen beinhaltet und diese können natürlich auch von aromantischen Menschen eingegangen werden.

 

8. Aromantiker können nicht lieben.

Dieses Argument gehört wohl zu einem der am häufigsten vorgebrachten Vorurteile gegenüber aromantischen Menschen. Ihm liegt die Annahme zugrunde, Liebe sei als eine Art Exklusivrecht auf romantische Partnerschaften beschränkt. Dass dem nicht so ist, beweist die Existenz platonischer Liebe, die man zu Freunden, der Familie und den Haustieren empfinden kann. Fazit: Aromantiker können also sehr wohl platonische Liebe und tiefe Emotionen für andere empfinden.  

 9. Aromantiker haben ein Trauma oder eine psychische Störung.

Aromantik ist eine Orientierung und keine Krankheit. Aber selbst, wenn sie das Resultat einer psychischen Störung ist, sind diese Menschen in ihren Gefühlen genauso ernst zu nehmen wie diejenigen, die sich von Geburt an als aromantisch begreifen.

 

10. Aromantiker haben Probleme mit ihrem Äußeren und finden deswegen keinen Partner.

Das wahrscheinlich dümmste Argument in der bisherigen Liste. Wer sich zu solchen Aussagen bemüßigt fühlt, dem sei an dieser Stelle empfohlen, mit offenen Augen durch die Welt zu gehen. Sind etwa alle Menschen, die sich in einer romantischen Beziehung befinden, objektiv schön? Aromantiker wollen keinen romantischen Partner, suchen deswegen auch nicht nach einem und was man nicht sucht, kann man nicht finden. Das hat nichts mit dem äußeren Erscheinungsbild zu tun. Selbst, wenn ein aromantischer Mensch einen Partner im Lotto gewonnen hätte, würde er seinen Gewinn ganz schnell wieder am Geschenketresen abgeben.

 

11. Aromantiker sind unreif und kindisch.

Dieses Vorurteil enthält eine implizite Abwertung aromantischer Menschen, basierend auf dem Irrglauben, dass ein romantisches Intimleben ein Indikator für geistige Reife sei und Aromantiker hier einfach noch nicht so weit entwickelt seien wie ihre romantisch orientierten Altersgenossen. Wieder ist hier der Vergleich mit romantisch orientierten Personen unangebracht, zumal auch Romantiker ein unterschiedliches Tempo haben, was ihre erste Beziehung angeht – aber oftmals liegt diese vor dem Eintritt ins Erwachsenenalter. Aromantiker sind also weder kindisch noch unreif, nur weil sie sich keinen Partner wünschen, sie haben einfach eine andere Orientierung und behalten diese auch als Erwachsene bei.

 

12. Aromantiker machen einen auf 'schwer zu haben'.

Die Anschuldigung, Aromantik sei eine besonders perfide Strategie, den Flirtpartner hinzuhalten, ist für aromantisch orientierte Personen verletzend. Oftmals ist es ihnen gar nicht bewusst, dass jemand gerade versucht, mit ihnen zu flirten. Abgesehen davon handelt es sich bei Aromantik nicht um berechnendes Kalkül, um eine besonders exklusive Flirttrophäe abzugeben, sondern um eine Orientierung. Sollte diese auf andere Menschen reizvoll wirken, sollten diese sich erst einmal selbst hinterfragen, warum sie es unbedingt bei einer Person versuchen müssen, bei der sich der Erfolg in Grenzen halten wird. Und die darauf folgende Zurückweisung als das akzeptieren, was sie ist: das Resultat eines Kommunikationsmissverständnisses, gepaart mit dem zwanghaften Wahn, eigene Gefühle auf das Gegenüber zu übertragen.

 

13. Aromantik ist bedauernswert.

Das wirkt vielleicht aus der Perspektive eines Romantikers so, aus der eines Aromantikers ganz sicher nicht. Wer sich mit seiner aromantischen Orientierung wohl fühlt, der muss nicht bedauert werden, weil er auch nichts verpassen kann, was ihm gefallen würde. Aromantische Menschen brauchen kein Mitleid und sie sind auch keine Menschen zweiter Klasse.

 

14. Aromantische Beziehungen sind weniger wert als romantische.

Aromantische Beziehungen können genauso eng und bedeutungsvoll sein wie romantische Beziehungen. Die Redewendung 'nur Freundschaft' sollte deswegen vermieden werden. Aromantiker sind genauso liebesfähig wie Romantiker, sie lieben nur auf unterschiedliche Weisen. Liebe bleibt Liebe, egal in welcher Verpackung sie daherkommt.

 

15. Aromantiker haben es leichter im Leben.

Sofern sich Aromantiker keine Liebesbeziehung wünschen, haben sie in diesem Bereich des Lebens tatsächlich weniger Stress. Allerdings hat auch Aromantik ihre Schattenseiten und für viele war es ein jahrelanger, oft schmerzvoller Kampf mit sich selbst, bevor sie zu dieser Orientierung gefunden haben. Und wenn sich ein Aromantiker einen aromantischen Partner wünscht, mit dem er sein Leben verbringen kann, steht er bei dieser seltenen Orientierung vor dem riesigen Problem, überhaupt jemand Passendes zu finden.

 

Siku, Kari

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We Are The Weirdos, Mister!

Ein Erklärungsversuch der Aromantik für romantisch orientierte Personen

 

Wir sind die, die sich nie verlieben. Die Langzeit-Singles, die nichts an ihrem Zustand ändern wollen.  Diejenigen, die sich nicht ganz tief drinnen doch eine romantische Paarbeziehung wünschen, um endlich angekommen zu sein.

 

Wir sind die, die man nicht durch Liebe retten kann. Die Menschen, für die romantische Liebe keine Erlösung darstellt. Diejenigen, die alleine durchs Leben gehen und sich keine Schulter zum Anlehnen wünschen, weil sie sich selbst den nötigen Halt geben.

 

Wir sind die, die sich bei Liebes- und Partnerschaftsthemen unwohl fühlen. Die, die nicht von ihrer neuesten Eroberung berichten können, weil die gar nicht existiert. Diejenigen, bei denen Freundschaft in der Beziehungshierarchie den höchsten Rang einnimmt.

 

Wir sind die, für die romantische Liebe nichts anderes ist als ein hormoneller Vollrausch. Diejenigen, mit denen die Romantikindustrie kein Geld verdienen kann.  Die, die nicht mit tränenverhangenen Augen und dem Taschentuch vor der Nase romantische Komödien im Fernsehen konsumieren und sich dabei wünschen, auch endlich ihrem Traumpartner zu begegnen.

 

Wir sind die, die den Valentinstag alleine verbringen. Diejenigen, die nicht daran glauben, dass man Gefühle ökonomisieren kann und für die romantische Liebe keine Naturgewalt, sondern eine gekonnte Inszenierung darstellt. Die dem zeitgemäßen Partnerschaftskonzept den Rücken kehren und andere Lebensmodelle favorisieren.

 

Wir sind die, die nichts mit Flirts anfangen können. Diejenigen, die deine Signale übersehen und dich mit ihrer Ignoranz wohlmöglich verletzen. Diejenigen, für die du niemals die Nr. 1 sein kannst – so sehr wir uns auch anstrengen.

 

Wir sind auch diejenigen, die du deswegen für seltsam, kalt und berechnend hältst. Die du zu einem Termin beim Psychologen überreden möchtest. Die du für das bedauerst, was sie deiner Ansicht nach verpassen. Diejenigen, die in deinem auf Romantik zentrierten Weltbild nur eine Außenseiterrolle innehaben und die du am liebsten ganz aus deinem Sichtfeld verbannen würdest, weil du sie nicht verstehen kannst.

 

Perspektivenwechsel gefällig?

Versuch einmal, dich in unsere Lage hineinzuversetzen. Warum sind die Menschen nur so besessen von der Idee der einzig wahren romantischen Liebe? Der Irrglauben, dass jeder Mensch ein sexuelles und romantisches Wesen ist, schadet vor allem denjenigen Personen, die diese Erwartungen nicht erfüllen: asexuellen Aromantikern. Diese Erwartungshaltung bringt sie in Erklärungsnot, setzt sie vielleicht sogar fatalerweise unter Druck, Beziehungen einzugehen und bewirkt bei ihnen nur Schuld- oder Minderwertigkeitsgefühle, weil sie für ihren Partner kein Verliebtheitsgefühl empfinden oder ihm nicht die Liebe entgegenbringen können, die ihnen ihr romantischer Partner zu geben in der Lage ist.

 

Warum sollte man sich minderwertig fühlen und Komplexe entwickeln, weil man sich nicht nach einem romantischen Lebenspartner sehnt? Seit wann ist eine Steintafel vom Himmel gesegelt, die Liebes- und Emotionsfähigkeit ausschließlich denjenigen zuschreibt, die sich in einer romantischen Beziehung befinden? Wir können auch emotional und empathisch sein, suchen Freundschaften statt Partnerschaften und freuen uns, wenn jemand unserer Freundschaft den gleichen Stellenwert zugesteht und uns nicht aufs Abstellgleis weit hinter dem Partner und den Kindern verfrachtet.

 

Versuch also, uns so zu nehmen, wie wir sind und uns unsere Gefühle nicht absprechen zu wollen, denn dasselbe würdest du auch von uns erwarten. Du befindest dich in der Mehrheit. Du diktierst die Regeln in der heutigen, amourös ausgerichteten Welt, die die romantische Liebesbeziehung zum Leitstern erhoben hat – und wir sind nur eine Randgruppe, die darin nach einer Nische sucht, in der sie sich heimisch fühlen kann.

 

Siku

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Du bist aromantisch, wenn...

Wenn du Zweifel hast, ob auch du dich in die spärlich aufgestellten Reihen der Aromantiker einreihen kannst, die mit romantischem Partnerschaftsgedöns nichts anfangen können, hilft dir dieser Beitrag vielleicht weiter.

 

Achtung: Es ist nicht ganz leicht, Aromantik zu erkennen. Die einzelnen Punkte sind als Tendenzen und Denkanstöße gedacht und weisen auf eine mögliche aromantische Orientierung hin. Das heißt aber nicht, dass man als Aromantiker hinter jeden Punkt ein Kreuz setzen muss, um als 'echter' Aromantiker zu gelten. Aromantische Personen sind Individuen wie alle anderen Menschen auch und können sich daher auch in der Ausprägung ihrer Orientierung unterscheiden. Ebenso wenig ist ausgeschlossen, dass sich eine romantische Person in einigen Punkten wiederfinden könnte.

 

1. Du kannst beim Gedanken an eine romantische Partnerschaft einen latenten Brechreiz nicht  

    unterdrücken.

   

2. Es liegt dir fern, eine andere Person zu idealisieren und sie ‚DEN Richtigen‘ oder ‚DIE 

    Richtige' zu nennen.

 

3. Du zweifelst an dem allseits vergötterten Ideal eines Traumpartners und fragst dich, ob Liebe

    eventuell nur ein kulturelles Konstrukt ist.

 

4. Du hast dich noch nie verliebt und es ist dir egal.

 

5. Bei der berühmten Vorstellung der ‚Schmetterlinge im Bauch‘ denkst du an eine Magen-

    verstimmung oder schlimmere Krankheiten.

 

6. Du kennst keine einzige romantische Kennenlerngeschichte eines Liebespaares, weil du bei

    allen eingeschlafen bist.

   

7. Besitzansprüche an einen anderen Menschen zu stellen und diesen exklusiv für dich haben zu

    wollen, liegt dir fern.

  

8. Freundschaft ist dir wichtiger als Liebe.

 

9. Wenn du eine romantische Szene in einem Buch oder einem Film siehst, lässt sie dich kalt oder

    du fühlst dich gelangweilt/genervt davon.

 

10. Du bist ständig auf der Suche nach Büchern oder Filmen ohne einen romantischen Plot.

 

11. Schon beim Gedanken an Kuscheln mit anderen Menschen dreht sich dir der Magen um.

 

12. Wenn du mitkriegst, dass Person X eine romantische Beziehungsanbahnung initiieren will,

     verlierst du schlagartig jegliches Interesse an ihr.

 

13. In deiner Zukunftsplanung kommen, seitdem du denken kannst, weder eine Hochzeit noch

     ein Partner vor.

     

14. Du fühlst dich auch ohne Partner wie ein vollwertiger Mensch.

 

15. Es wundert dich, dass sich ein Konzept wie ‚Liebe‘ in physischen Handlungen wie Küssen und

      Streicheleinheiten manifestieren soll.

 

16. Wenn du gefragt wirst, auf welchen ‚Typ‘ du stehst, fällt dir nichts ein.

 

17. Für dich ist Valentinstag einfach ein Tag wie jeder andere ODER der nervigste Tag der Welt,

      weil dir die penetrante Zurschaustellung von Zweisamkeit lächerlich erscheint.

 

18. ‚Ich liebe dich‘ hast du, wenn überhaupt, bisher nur zu deinem Haustier gesagt.

 

19. Du wunderst dich, warum alle anderen ihr Glück von einem anderen Menschen abhängig

      machen müssen.

    

20. Kosenamen von Pärchen animieren dich zum Lachen.

 

21. Du kannst dich mit dem Begriff 'Aromantik' identifizieren und fühlst dich wohl damit.

 

22. Als du von anderen aromantischen Personen erfahren hast, warst du erleichtert und glücklich,

      mit deiner Orientierung nicht alleine zu sein beziehungsweise überhaupt zu wissen, dass

      'Aromantik' auch eine Option darstellt.

 

23. Es fällt dir schwer, den Unterschied zwischen romantischer und freundschaftlicher Anziehung

      zu erkennen.

 

24. Du hattest noch nie eine romantische Beziehung – nicht, weil du keine hättest haben können,

      sondern weil es dich überhaupt nicht reizt, eine einzugehen.

 

25. Wenn andere Personen versuchen, mit dir zu flirten, fühlst du dich unwohl oder du bemerkst

      es erst gar nicht.

 

26. Du meidest Orte wie Discos oder Partys, die für ihre Flirteskapaden bekannt sind.

 

27. Du fürchtest dich nicht vor der Vorstellung, den Rest deines Lebens single zu sein.

 

28. Du hast Probleme damit, dir romantische Aktivitäten vorzustellen, in die du involviert bist.

 

29. Es haben schon Leute von dir gedacht, du würdest mit ihnen flirten, dabei wolltest du nur

     nett sein.

 

30. Allgemein als 'romantisch' geltende Aktivitäten, z.B. das berühmte Candle Light Dinner,

     interessieren dich nicht.

 

31. Handlungen, die andere Personen aus Liebe begehen, verwirren oder amüsieren dich.

 

32. Wenn jemand dir seine Liebe/sein romantisches Beziehungsinteresse gesteht, begreifst du

      nicht, warum ihm eine Freundschaft mit dir nicht ausreicht.

 

33. Du glaubst nicht daran, dass eine romantische Beziehung die einzige Möglichkeit ist, 'wahre

      Liebe' für einen anderen Menschen zu empfinden (Stichwort: Platonische Liebe).

 

34. Wenn du doch einmal eine romantische Handlung begangen hast, kam der Antrieb dazu nicht

      aus dir selbst, sondern du hast ein gelerntes Verhaltensmuster abgespult, das dir von

      Freunden und aus Filmen bekannt war.

 

35. Du kannst durchaus Dinge als romantisch empfinden, z.B. das Meer oder eine brennende

      Kerze – dieses Gefühl bezieht sich aber nicht auf Personen und löst nicht den Wunsch nach

      romantischer Interaktion aus.

 

36. Morgens neben jemandem aufzuwachen klingt für dich nach einer Horrorvorstellung.

 

37. Wenn du ein küssendes Pärchen siehst, findest du das nicht süß, sondern befremdlich.

      Besonders dann, wenn sich das Paar in deiner unmittelbaren Nähe befindet und die

      Geräuschkulisse dementsprechend laut ausfällt.

 

38. Deine Idee von der Art und Weise, einer anderen Person deine Zuneigung zeigen zu können,

      unterscheidet sich fundamental von der der meisten Menschen. Sie kann beispielsweise weder

      Umarmungen noch Küsse noch Händchenhalten beinhalten.

 

39. Es macht dir nichts aus, in der 'friendzone' zu landen. Im Gegenteil, das ist dein erklärtes

      Ziel!

 

40. Wenn du überhaupt Liebeslieder hörst, fasziniert dich daran ein bestimmtes Instrument oder

      die Melodie, aber nicht der Inhalt des Songs.

 

41. Du hast einen stark analytisch geprägten Blickwinkel, wenn es um romantische Liebe und

      romantische Handlungen geht und versuchst, diese rational zu erfassen.

 

42. Sofern es vorhanden ist, ist dein Verständnis für das Phänomen der romantischen Liebe eher

      abstrakt als intuitiv.

 

Siku, Kari

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Aromantik – Fiktion einer angeknacksten Psyche?

Aromantische Asexuelle empfinden keinen Wunsch nach sexueller Interaktion mit anderen Menschen. Und als sei das nicht schon verstörend und beunruhigend genug, verspüren sie zusätzlich dazu auch keine romantische Anziehung. Das muss einfach krank sein!

 

Aromantik erscheint mehr noch als Asexualität wie eine unbegreifliche und verstörende Bedrohung –  zwingt es doch jeden Menschen, der mit dieser Orientierung in Berührung kommt, zu einem kritischen Reflektieren des eigenen Weltbildes. Aromantiker zweifeln das omnipotente Bild des platonischen Kugelmenschen an, der stets auf der Suche nach seiner zweiten Hälfte ist.

 

Denn was aromantische Personen allen Ernstes behaupten: Menschen, die nicht im Paradies der Zweisamkeit schweben, müssen keine bedauernswerten Mängelwesen sein. Damit nicht genug, ist dieser Zustand sogar erstrebenswert und dauerhaft gewünscht! Ganz ohne Leidensdruck. Aromantische Menschen brauchen keinen Partner, um sich vollständig zu fühlen.

 

Vorurteile gegenüber aromantischen Menschen

Man muss einfach mögen, was alle mögen, man muss einfach wollen, was alle wollen, man muss sein, wie alle sind, und wenn nicht, dann würde man ja gerne, aber hat einfach nie die Gelegenheit dazu bekommen. Jemand, der sich keinen Partner wünscht…das muss einfach eine kranke, kalte, bizarre Persönlichkeit sein. Schlimmer noch: Aromantik, das darf einfach nicht existieren! Wer solche Spinnereien von sich gibt, kann sich das nur ausgedacht haben! Er schmückt sich mit dem Attribut des Aromantischen, um etwas Besonderes zu sein und um zu verschleiern, dass niemand seinerseits romantisches Interesse an ihm hat und er auf dem Partnermarkt nicht bestehen könnte, würde er sich hineinbegeben.

 

Solche und ähnliche Vorurteile gehören leider immer noch zum Alltag aromantisch orientierter Menschen. Auch wenn immer gerne pathologisiert wird, was fremd und anders ist: Es braucht keinen Gang zum Psychologen, damit der wieder gerade rückt, was immer schon gerade war: Aromantik und Asexualität sind romantische/sexuelle Orientierungen wie alle anderen auch. Keine Missbrauchserfahrungen, keine Traumata, keine ungelösten Kindheitskonflikte oder Probleme mit dem eigenen Erscheinungsbild und dem Selbstbewusstsein müssen dafür verantwortlich sein, wenn jemand fühlt, dass er keinen Partner braucht, um im Leben glücklich zu sein.

Und selbst, wenn sich Aromantik in dem ein oder anderen Fall tatsächlich aus einem psychischen Problem entwickelt haben sollte, macht das diese Menschen nicht weniger glaubwürdig und ernstzunehmend in ihren Gefühlen als diejenigen, die schon 'immer' aromantisch waren.

 

Der Traumprinz kann im Märchenland bleiben

Wie jeder andere Mensch können Aromantiker zu dieser Erkenntnis gelangen, ohne sich vorher in Beziehungen gestürzt und romantische Erfahrungen gemacht zu haben. Der Traumprinz oder die Traumprinzessin auf dem weißen Pferd ist eben nicht für jeden das Non-Plus-Ultra und die Krönung der Kür. Der perfekte Partner kann dahin zurückreiten, wo er hergekommen ist: ins Märchenland. Für Aromantiker gibt es diesen Wunschpartner schlichtweg nicht. Sie sind glücklich damit. Sie brauchen niemanden, der ihnen zeigt, wie schön der Austausch von Zärtlichkeiten in einer Partnerschaft sein kann, weil es für sie eben nicht schön wäre. Und sie sind auch nicht diejenigen, die man durch Liebe von ihrem "bemitleidenswerten Single-Dasein" erlösen muss – oder kann. Denn sie verlieben sich nicht.

 

Bindungsunfähig?

Sind aromantische Menschen deswegen gleich bindungsunfähig, gefühlskalt und ohne jegliche Empathie ihren Mitmenschen gegenüber? Auch wenn dieses Bild nach wie vor in der Öffentlichkeit gezeichnet wird, es ist falsch! Enge emotionale Bindungen und Freundschaften können auch von Aromantikern eingegangen werden. Dafür braucht es lediglich die Voraussetzungen, die auch für alle anderen zwischenmenschlichen Beziehungen gelten: die Chemie muss stimmen.

 

Siku

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