Ich akzeptiere alles, solange es so ist wie ich!

Ein Gastbeitrag mit dem Aufruf zur Toleranz von Andersartigkeit.

 

*tap tap* Ist das Mikro schon an? *räusper*

 

[Smetanas „Moldau“ ertönt] Unsere wunderschöne, tolerante Gesellschaft. Sie toleriert alles und kämpft für alles. Für das Adoptionsrecht, für Gleichgeschlechtliche, für die Frauenquote, für die Umschreibung uralter Märchenbücher zwecks politisch korrekter Schreibweise, für genderneutrale Berufsbezeichnungen, für das Wahlrecht für kürzlich Verstorbene, damit man ein Denkmal gegen die Diskriminierung von Toten setzt und für eine Einschränkungsklausel gegen Einschränkungen.

Ja, die Gesellschaft kämpft für alles und toleriert alles! Ob du hetero bist, ob du homo bist, ob du bi bist und seit „Fifty Shades of Grey“ toleriert sie es auch, wenn du dir gerne den Hintern versohlen lässt.

Du darfst all das sein und noch mehr, aber [Nadel-rutscht-von-der-Platte-Sound] du darfst nicht garnichts davon sein. Zumindest nicht, bevor ein Hollywoodfilm Garnichts-Davon-Sein zum neuen Trend erhoben hat. Immerhin hätten wir auch nie erfahren, dass wir uns nicht über Designermöbel und Geld definieren, hätte es „Fight Club“ nicht gegeben, nicht wahr?

 

Och Leute...

Ich weiß nicht, wie es euch geht, aber gerade in der letzten Zeit häufen sie sich wieder, die ganzen Leute, die einem absprechen wollen zu sein, was man eben ist, indem sie irgendwelche Gründe er- finden und diese wie ne Papiertüte über deinen Kopf stülpen. Leute, die meinen, sie hätten mehr Expertise über deine Lebenslage als du selbst und dann auch noch den mahnenden Zeigefinger schwenken, solltest du empört reagieren oder in Rage geraten ob dieser Dreistigkeit. Leute, die sich mit einem frommen Lächeln im Gesicht das Tolerant-Stickerchen an die Weste heften und laut eigener Aussage absolut kein Verständnis dafür haben, wieso manche Menschen ein Problem mit [insert random jüngst salonfähig gewordenes Irgendwas] haben, aber witzigerweise in ganz genau dasselbe Verhaltensmuster rutschen, sollte dein „Irgendwas“ nicht in dieser Liste der jüngst salonfähig gewordenen Irgendwasse auftauchen.
Dann werden wie von Geisterhand plötzlich genau dieselben hanebüchenen Argumente ausgepackt wie damals noch bei den Homosexuellen: Du bist krank, du hast Angst vor Bindungen, du hast ein Trauma, du hast den Richtigen noch nicht gefunden, du hast ne gestörte Vater/Mutterbeziehung, du hast Krebs, du solltest dir Zahnpasta ohne Fluorid kaufen und überhaupt – trinkst du auch drei Liter am Tag?

 

Das kennen wir schon. Das war ja nie anders. Sowas hören wir seit Jahren, sowas sind wir gewohnt. Alles läuft eben darauf hinaus, dass du in die Pflichtposition gedrängt wirst, dich zu ändern, damit die anderen nicht über die Dinge nachdenken müssen, die ihnen eh egal sein könnten. Es scheint für diese Leute einfacher und selbstverständlicher, dass man mal eben seine gesamte Persönlichkeit für sie ändert, als Akzeptanz dafür aufzubringen, dass der andere eben anders ist. Und wenn du schon nicht gewillt bist, dich mal eben zu einer neuen Person zu transformieren, dann hast du gefälligst zu verschweigen, dass du anders bist, denn was sollen denn die Leute denken?

Wenn „die Leute“ nur mit mir klarkommen, wenn ich ihnen vorspiele, jemand zu sein, der ich nicht bin, geht es dann eigentlich noch um mich als Menschen und Individuum? Warum hat man sich dann nicht direkt jemanden geholt, der „so ist“, statt von jemandem, der nicht „so ist“ zu verlangen, vorzuspielen, er „sei so“. For the sake of was eigentlich genau? Bisher konnte mir noch niemand wirklich plausibel erklären, warum ich denn „so zu sein“ habe. Und was genau eigentlich diejenigen, die das von mir verlangen, davon haben, wenn es denn möglich wäre.

 

Manchmal hab ich den Eindruck, es geht eigentlich nur darum, dass man von seinem Selbstbestimmungsrecht Gebrauch macht, sich dem anderen zu verweigern, obwohl keine „triftige“ (= für andere Leute als gültig empfundene) Ursache vorhanden ist. In einer Gesellschaft, in der Lebewesen zu Dienstleistern und Dienstleistungen gemacht werden, ist das vermutlich auch wenig verwunderlich. Genauso wie es deine Pflicht ist zum Arzt zu gehen, wenn du krank bist, um wieder für den Arbeitsmarkt verfügbar zu sein, wird es als deine Pflicht angesehen, dich zum heteroromantisch/sexuellen Menschen umzufunktionieren, damit irgendjemand anders aus dir seinen romantischen und sexuellen Nutzen ziehen kann.

 

Ein „Nein!“ wird nicht als „Nein!“ akzeptiert, sondern zu einem „Ich muss mich nur genug anstrengen, dann ja!“ umdefiniert und „kurierbare“ Gründe für das „Nein“ hinzugedichtet, die man nur beseitigen muss, damit endlich das „Ja“ kommt – und damit der eigene Wille der Person völlig übergangen. Quizfrage: Wie kann man eigentlich derart respektlos gegenüber der Person sein, von der man ja behauptet, sie aufrichtig zu lieben?

 

Du stehst also in der Pflicht, dich „kurieren“ zu lassen. Aber nicht, weil es DIR dann besser ginge, denn du hast ja keinen Leidensdruck nein. Sondern, damit es dem anderen besser geht und er von dir bekommt, was er will, denn er hat den Leidensdruck, den du nicht hast. Du sollst also stellvertretend für ihn zum Arzt gehen und zu einem anderen Menschen werden, damit der andere so bleiben kann, wie er ist.

Guter Plan. Wundert sich da noch irgendjemand, warum einem da der Kragen platzt? Und ich denke, der Kragen wäre noch intakt, wenn man sich nicht schon sein ganzes Leben lang immer und immer wieder denselben Käse anhören müsste und von einem nicht immer und immer wieder verlangt würde, sich entweder zu ändern oder zu schweigen. Nein, das macht keinen Spaß. Und zwar nicht wegen der Orientierung, sondern wegen dieser verdammten Inakzeptanz.

 

Bevor man sich also das nächste Mal darüber echauffiert, dass der Salzstreuer immer noch Salzstreuer heißt anstatt Salzstreuer/in, sollte man einfach mal überlegen, ob es da nicht eventuell jemanden im nahen Umfeld gibt, den es viel mehr kränkt, wenn man ihn in seiner Person und in seiner Selbstbestimmung nicht ernstnimmt, als den verfluchten Salzstreuer.

 

Kødhoved

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Kommentare: 12
  • #1

    Mia (Sonntag, 27 Dezember 2015 07:04)

    Der Artikel hat so recht ! Es gibt halt nicht so viele Aromantische und Asexuelle und es ist immer leicht mit dem Finger auf Minderheiten zu deuten und die zu bemäkeln ! Nur wie es schon geschrieben wurde: man selber hat ja rein gar nix von der gewünschten transformation - ausser plötzlich die Akzeptanz von ner Person, die das vorher nicht getan hat . Die will ich dann auch nicht mehr da suche ich mir doch besser leute die schon so weit sind das im jahr 2015 zu akzeptieren.

    Der hollywoodblockbuster über Aromantiker oder Asexuelle kommt dann in 100 jahrn ! Gibt einfach zu wenig Abnehmer für sowas . Da einfach die nächste nichtssagende Romanze einbauen und die Kasse klingelt !

  • #2

    Aaron (Sonntag, 27 Dezember 2015 10:05)

    Ich halte es da ganz einfach: Wer mich ändern will, hat bei mir nichts zu suchen. Ertappe ich mich dabei, andere umerziehen zu wollen, hau ich mir selbst auf die Finger.

    Zum Gastautor: Ich finde deinen Text angenehm scharfzüngig und treffend formuliert. Hut ab!

  • #3

    Kødhoved (Sonntag, 27 Dezember 2015 12:44)

    Danke :)
    Ich glaube, der Text wäre weit weniger scharfzüngig geworden, wenn sich da nicht mit all den Jahren eine gewisse Genervtheit eingeschlichen hätte.
    Der Hollywoodfilm über Aromantik würde so enden, dass am Ende "der Richtige" auftaucht und der Aromantiker zum ersten mal die "wahre Liebe!!!11eins" erfährt und so von seiner Aromantik "geheilt" wird. Von daher sollte man eigentlich froh sein, dass es einen solchen Film nicht gibt.

  • #4

    bet (Sonntag, 27 Dezember 2015 13:02)

    bäh, so `n aromantik-film wär ja eklig... wenn ich das drehbuch zu `nem aromantik-film verfassen könnt, sähe das ende aber anders aus, da kannste einen drauf lassen! da würde der aromantiker als gesunder mensch ohne selbstwertprobleme und sonstigen "krankheitswürdigen" kram portraitiert werden und *tadam* findet am ende seinen allerbesten aromantikerfreund, dem er ganz ohne romantik genauso wichtig ist wie er dem aromantiker. statt partner fürs leben freund fürs leben - ist doch auch hollywood-reif! leuts, ich sollt drehbuchautor werden [lach]!

  • #5

    bet (Sonntag, 27 Dezember 2015 13:04)

    ach ja, was ich noch fragen wollt: hat dein pseudonym `ne spezielle bedeutung? sieht auf jeden fall ausländisch aus.

  • #6

    Kødhoved (Sonntag, 27 Dezember 2015 13:20)

    Kød = dänisch "Fleisch". Hoved = dänisch "Kopf".
    Eigentlich ne Beleidigung, die benutzt wird, um jemanden zu beschreiben, der ein hässliches Gesicht hat. Hat für mich allerdings ne andere Bedeutung, aber die ist viel schwieriger zu erklären ^^

  • #7

    Flattermaus (Sonntag, 27 Dezember 2015 15:22)

    hehe, in den letzten Tagen ist das nun schon der fünfte Hinweis auf ,,Fight-Club". aber ich schaue mir den Film trotzdem nicht an

  • #8

    Siku (Sonntag, 27 Dezember 2015 18:38)

    Kødhoved, bei deiner Beschreibung eines Aromantik-Films made by Hollywood kann einem ja schlecht werden! Das ist genau wie in den ganzen Liebesschnulzen, wo das Mädchen erst auf einen miesen Typen hereinfallen muss, um dann zu erkennen, dass die "wahre Liebe" in Form des besten Freundes oder irgendeines anderen Niceguys die ganze Zeit über nebenan gewohnt hat...würg!

    Romantische Liebe soll am Ende immer die Lösung für alles sein und das glücklich vereinte Paar schwebt auf rosa Herzchenwolken nach oben ins Paradies. Da finde ich bets Vorschlag mit der Freundschaft schon deutlich besser. Das würde nämlich deutlich machen, dass Freundschaft für einige Menschen auch eine zufriedenstellende Form der zwischenmenschlichen Beziehung ist, die nichts vermissen lässt.

  • #9

    Kødhoved (Sonntag, 27 Dezember 2015 19:04)

    Deshalb sag ich ja, es ist gut, dass es so einen Film nicht gibt, da er zu 100% genau so aussehen würde, wie beschrieben. Das ist halt das, was die Leute sehen wollen. Kriegen sie das nicht, sind sie enttäuscht vom Film. Ich finds nur witzig, dass das anscheinend auch nie langweilig wird, wenn man schon in den ersten zwei Minuten weiss, wie der Film endet, weils eben immer das selbe ist. Naja - humanity...

  • #10

    bet (Sonntag, 27 Dezember 2015 22:26)

    genau deswegen gehn die leute rein. die wollen seichte kost mit 'nem happyend und das kriegen sie geboten. wer überrascht werden will greift nicht zu 'ner romantischen komödie. die irrungen und wirrungen in der story sind nie wirklich schlimm und ham nur den zweck, dass das ende mit glücklichem paarmatching umso toller kommt.

  • #11

    Flattermaus (Montag, 28 Dezember 2015 06:24)

    schlimme Irrungen und Wirrungen, Verbrechen und Drastik möchte ich jedenfalls gar nicht sehen. wo kommt denn bloß diese ganze Sehnsucht nach Drama her? ich denke, die ist auch durch Hollywood geschürt. ich mag in Filmen optische Inspirationen (Styling, Kleidung, Dinge) und nette Geschichten. aber ich bin schließlich auch viel allein, selten dabei einsam, aber manchmal schon. aber wer fast immer allein sein möchte, hat halt, wenn das grad mal nicht so ist, auch nicht gleich geeignete Zeitgenossen und Treffpunkte zur Hand. und dann möchte ich einfach sehen, wie das soziale Leben bei anderen stellvertretend für eigene Wunscherlebnisse klappt

  • #12

    Nina (Mittwoch, 30 März 2016 16:25)

    An für sich schön geschrieben, leider akzeptieren aber auch viele Menschen, die behaupten sie würden alles akzeptieren, manches nicht.
    Ich merke das gerade selber an mir: Asexualität und Aromantik wird von Betroffenen akzeptiert, nicht aber meine Aplatonik. Da wird schnell versucht, sie in eine pathologische Ecke zu stellen.