Der Selbstidentifikation und infolge dessen der romantischen Orientierung kommen in der asexuellen Gemeinschaft ein hoher Stellenwert zu. In Forenprofilen kann man sie angeben, in Gesprächen mit anderen Asexuellen sind sie oft relevant und diverse Diskussionen über Asexualität laden dazu ein, sich noch näher mit den im Umlauf befindlichen Labels zu befassen. Doch können artifizielle Kategorien die gesamte Bandbreite menschlicher Emotionen abdecken?
Heteroromantisch, homoromantisch, biromantisch, panromantisch, aromantisch, lithromantisch, demiromantisch, greyromantisch, cupioromantisch, WTFromantisch: das ist kein Rumstöbern in einem wissenschaftlichen Schmöker, sondern allgegenwärtige Wortklauberei in der asexuellen Gemeinschaft. Der asexuelle Fachjargon – asexinesisch, wenn man so will – ist von dem westlichen Modell der sexuellen Orientierungen beeinflusst und abgeleitet. Die verschiedenen Labels laden Neulinge dazu ein, sich mit ihrer romantischen Orientierung zu befassen und durch Selbsterforschung den passenden Begriff zum Überstülpen zu finden.
Wenn jemand sich mit einer sexuellen oder romantischen Orientierung identifiziert, bedeutet das, die eigenen Emotionen und daraus resultierend oft auch das eigene Verhalten kritisch zu betrachten. Beides sind natürliche und vor allen Dingen individuelle Phänomene, die sich für jeden Menschen unterschiedlich anfühlen können. Das Ergebnis einer Selbstfindung wird allerdings in allgemeingültigen, sozial definierten Konstrukten zusammengefasst.
Für eine erste Orientierung sind diese Labels sicher nützlich. Insbesondere zur Kontaktaufnahme mit Gleichgesinnten eignen sie sich hervorragend. Aber kann man erwarten, dass künstliche Differenzierungen auf jeden Menschen und seine individuelle Gefühlswelt anwendbar sind?
Insbesondere Menschen, die sich mit dem aromantischen Spektrum identifizieren, haben es schwer, ihre romantische Orientierung herauszufinden, weil sie sich auf das Konzept der romantischen Orientierung oftmals keinen Reim machen können. Das belegt die hohe Konjunktur des Wortes ‚WTFromantisch‘, ein ironischer Begriff für Menschen, die von der Differenzierung zwischen romantischer und freundschaftlicher/emotionaler Anziehung frustriert und überfordert sind.
Es könnte daher
sinnvoll sein, dem Asexinesischen ein paar weitere Vokabeln hinzuzufügen und alternative Konzepte anzubieten, z.B. ‚romantikindifferent‘
oder ‚romantikablehnend‘.
Auch die Bezeichnung ‚nonamourös‘, die sich nicht
direkt auf die romantische Orientierung, sondern auf den daraus resultierenden Lebensstil bezieht, ist für einige aromantische Menschen unter Umständen praktikabler, denn sie schließt bereits mit
ein, dass man sich keine ‚aromantische
Partnerschaft‘
wünscht.
Nicht alle Menschen müssen ein klares, in Stein gemeißeltes Konzept ihrer eigenen (A)Romantik haben. Wem das romantische Begriffekorsett zu eng ist, der lässt es im Kleiderschrank. Niemand muss sich ein Label aufdrücken, wenn das für ihn keinen Sinn ergibt. Und niemand sollte sich unter Druck gesetzt fühlen, seine Schublade zu finden, nur weil die asexuelle Gemeinschaft mit lauter asexinesischen Neologismen um sich schmeißt.
Siku
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Clara (Freitag, 15 Januar 2016 11:34)
Ich war richtig erleichtert, als ich das Wort wtfromantisch gefunden habe, weil mich die Unterscheidung zwischen verschiedenen Anziehungen bis heute verwirrt.
Christian (Freitag, 15 Januar 2016 13:21)
Ich finde diese ganzen Begriffe auch verwirrend. Aromantisch passt aber am ehesten.
Julia (Freitag, 15 Januar 2016 14:29)
Die Idee, statt einer identitären Selbstbeschreibung die Beziehung zu einem Konzept zu beschreiben, finde ich ziemlich gut. "Romantikindifferent", oder auch "sexindifferent", liegen diesbezüglich eher quer zu den "klassischen" Kategorien, und sie sind sehr viel individueller, bezeichnen sie doch ein persönliches Verhältnis. Mit meinem Kollegen habe ich neulich auch versucht, die Kategorie "Geschlecht" über Affinitäten zu beschreiben, also etwa als gender-indifferent. Das ist definitiv wert, diskutiert zu werden...
Siku (Freitag, 15 Januar 2016 17:37)
@Julia: Aus deinem Kommentar gehen die Vorteile sehr schön hervor, die man mit so einem System hätte. Damit könnte man die Überkategorie 'Aromantik' differenzieren, denn nicht jeder Aromantiker lehnt Romantik per se ab. Man sollte allerdings aufpassen, es mit den Differenzierungen nicht zu übertreiben, bevor diese in Haarspalterei ausarten und das Verständnis der Überkategorie darunter leidet.
Mia (Samstag, 16 Januar 2016 09:30)
Ich bin romantikablehnend und nonamourös ! Demi und gray Leute rechne ich auch nicht zu Aromantik dazu, weil die romantische Anziehung fühlen können, auch wenn es nur selten ist.
Maz (Samstag, 16 Januar 2016 17:26)
Das Problem mit diesen Begriffen ist, daß sie zumindest tendenziell eine persönliche Einstellung beschreiben und daher nicht von der Orientierung abhängen. Mir fehlt beim Thema Aromantik bisher zumindest "gefühlt" auch ganz generell noch die deutliche Abgrenzung zur Antiromantik. Natürlich gibt es das Phänomen der Ablehnung analog auch beim Thema Asexualität vs. Antisexualität (das wären dann Begriffe wie "sex positive" vs. "sex repulsed") und man kann vor allem darüber diskutieren ob eine "Anti-Haltung" erst dann als solche erachtet werden sollte, wenn man sich am Verhalten oder Empfinden anderer Personen stört und nicht schon wenn es nur einen selbst betrifft.
Aber mir scheint trotz alledem doch, daß die Einstellung zur Romantik bzw. zum "romantischen Verhalten" für viele Aromantiker einen ganz besonders hohen Stellenwert einnimmt. Die Gefahr in der Darstellung des Themas dann Orientierung und persönliche Einstellung so zu vermengen, daß ein falsches(?) Bild in der Außenbetrachtung entsteht scheint mir nochmals deutlich größer als bei der Asexualität.
Siehe z.B. auch die Punkte unter: http://www.aromantik.de/2015/12/01/du-bist-aromantisch-wenn/
Das ist jetzt zwar nur ein "Spaß" aber irgendwo zwischen 1/3 bis 2/3 der Fragen beschäftigen sich (auch) mit persönlichen Einstellungen gegenüber dem Thema "Romantik". Wer in diesem "Test" 100% Zustimmung hat würde für mich auf alle Fälle auch in die Kategorie eines "Antiromantikers" fallen und nicht blos in die des Aromantikers.
Ein weiteres Problem sehe ich generell im Bedeutungsgewicht welches dem Begriff "Romantik" innewohnt. Eigentlich meint Aromantik wenn man sie analog zur Asexualität betrachtet ja zunächst nur die Abwesenheit einer emotionalen Anziehung / Verlangen nach emotionaler Interaktion ggf. in Abhängigkeit vom Geschlecht aber eine "romantische Anziehung" ist dann ja wiederum schnell mit Begriffen wie "Verlieben" oder gar Verhaltensweisen wie "rote Rosen schenken" verknüpft, die für die emotionale Orientierung auch nicht unbedingt besonders relevant sind.
Siku (Samstag, 16 Januar 2016 18:30)
Der Grund, warum Romantik für Aromantiker einen so hohen Stellenwert hat, ist der, dass sie eine Art Hintergrundfolie für die Definition von Aromantik darstellt. Wenn man Aromantik als Abwesenheit romantischer Anziehung definiert (romantische Anziehung deshalb, weil emotionale Anziehung zu weit gefasst wäre und auch Freundschaften ausschließen würde), kommt man um die Beschäftigung mit den Konstrukten 'Romantik' und 'romantische Verhaltensweisen' nicht herum.
Die Abgrenzung zur Antiromantik ist aus meiner Sicht besonders deshalb schwer, weil nicht jeder Aromantiker romantikindifferent ist. Ist es gleich eine Antihaltung, wenn man sich gegen eine romantische Beziehung entscheidet, weil diese für einen mit negativen Emotionen verknüpft ist und man sich deswegen darin auch nicht wohlfühlen würde?
Übrigens finde ich die Entstehung einer antisexuellen oder antiromantischen Haltung bei Asexuellen bzw. Aromantikern nicht so verwunderlich und verdammenswert, wie das öfters dargestellt wird. Wenn sie ständig von Themen umgeben sind, die ihnen nicht zusagen, reagieren einige Menschen verständlicherweise mit vehementer Ablehnung darauf. Für mich waren diese Einstellungen immer ein Zeichen dafür, dass einige Menschen sich in ihrer romantischen/ sexuellen Orientierung unterrepräsentiert fühlen und daraufhin eine aggressive Haltung den Orientierungen gegenüber entwickeln, die ihrer Meinung nach für diese "Verdrängung" verantwortlich sind.
Maz (Samstag, 16 Januar 2016 19:26)
> Ist es gleich eine Antihaltung, wenn man sich gegen eine romantische Beziehung entscheidet, weil diese >für einen mit negativen Emotionen verknüpft ist und man sich deswegen darin auch nicht wohlfühlen >würde?
Nein das sicher nicht. Man könnte allenfalls wieder darüber diskutieren was eine romantische Beziehung ist und was nicht und ob das was negativ emotional damit verbunden ist wirklich zwingend in allen romantischen Beziehungen stattfindet.
Das Thema Medien ist auch so ein Sache wo man nicht unbedingt eine anti-Haltung braucht um davon genervt zu sein. Ich denke es gibt kaum jemanden der behaupten würde, daß die Medien und das Internet nicht "oversexed" (wer würde denn der Abschaltung von Pornoseiten nachtrauern?) und womöglich auch "overromantisized" sind.
"Problematischer" wird es denke ich aber wenn man von den romantischen Beziehungen realer anderer Personen im eigenen Umfeld genervt ist, weil dann (ich denke teilweise auch berechtigt) eben die Frage aufkommt warum einen das denn so besonders stark tangiert wenn man dazu doch gar keinen Bezug hat und das persönliche Empfinden eigentlich eher "neutral" sein müßte(?)
Wenn man mit dem Thema traumatisiert wurde (oder auch blos kontinuierlich von anderen damit "genervt" wurde) kommt genau wie bei Asexualität daher auch hier die Frage auf ob sich am Empfinden etwas ändern würde wenn man das Thema emotional gesehen "gelassener" betrachten könnte (was natürlich bei massiven Traumata sowieso kaum möglich ist aber man muß ja nicht unbedingt den worst-case zur Grundlage machen).
>Übrigens finde ich die Entstehung einer antisexuellen oder antiromantischen Haltung bei Asexuellen >bzw. Aromantikern nicht so verwunderlich und verdammenswert, wie das öfters dargestellt wird.
Selbst wenn Antisexualität und Antiromantik für andere kein Problem darstellen streßt man sich aber im allgemeinen doch zumindest selbst damit, denn an der Verteilung in der Welt wird sich dadurch ja sehr wahrscheinlich nichts ändern.
Die "Ablehnungskomponente" war am Anfang der asexuellen Bewegung auch noch deutlich präsenter und ist mittlerweile denke ich doch eher zum Randthema geworden. Insofern kann sich das mit der Zeit sicher auch relativieren.
Flattermaus (Sonntag, 17 Januar 2016 13:24)
Meine Aromantik ist nur auf mich bezogen. Wenn andere mit anderen Lebenskonzepten für sich zufrieden sind und sogar wenn es davon so viele gibt, dass damit auch die Medien voll sind, stört mich das nicht. Im Gegenteil zu Asexualität, also wenn eine Anti-Haltung zu Pornos zu haben antisexuell ist, dann weiche ich kein Jota davon ab, antisexuell zu sein, obwohl ich allen Sexuellen ihr sexuell erfülltes Leben von Herzen gönne.
Für mich würde in jeder Art von romantischer Beziehung etwas stattfinden, was für mich emotional negativ damit verbunden ist - nämlich dass ich dann verpartnert wäre und in meinem Selbstverständnis somit unfrei. Romantische nennen das ja selbst so treffend ,,vergeben sein".
Flattermaus (Sonntag, 17 Januar 2016 13:38)
Ich denke ob sexpro oder für ich ablehnend, oder entsprechendes zu Romantik und Amorositäten, die Einstellung dazu ist stark mit der bloßen Orientierung selbst verknüpft - zumindest bei denjenigen für die das Ganze ein relevantes Thema ist. Nonamoröse/Aromantische/Asexuelle deren Orientierung nicht zu einer Einstellung dazu führt, machen einfach ihr Ding, ohne weiter darüber nachzudenken, ohne die Begriffe überhaupt zu brauchen oder überhaupt zu schätzen.
Julia (Montag, 18 Januar 2016 12:18)
Hm, das ist schon eine schwierige Debatte, denn natürlich macht es einen Unterschied, ob man auf "Orientierung" (also etwas Materielles, als angeboren erlebtes) oder Einstellungen (die ggf. reflektierter sind, aber oftmals als eher erworben) Bezug nimmt. In Bezug auf einige unter Anti-* angesprochene Phänomene könnten Emotionen eine Rolle spielen (Ekel, zB.), die ja wiederum anders wirken als Einstellungen. Ob man das schließlich trennen kann, kann ich nicht sagen (würde es aber eher verneinen). Das Ergebnis ist dann tatsächlich eine Vervielfältigung von Erlebensweisen (wer hätte das gedacht??), und, was problematischer ist, von Labels.
Persönlich finde ich, muss man in Bezug auf "Romantik" heftigst unterscheiden, was man denn ablehnt: Rote-Rosen-Kitsch? Ok, das macht eine_n aber noch nicht aromantisch, sondern, soweit ich das überblicken kann, mit gesundem Menschenverstand begabt. Der Drang, sich zu verpärchen, das Leben zu Zweit zu verbringen, das Gefühl, als Single nicht vollständig zu sein? Vermutlich eher. Wie man dann eine romantische Beziehung ausfüllt, ist jedem/jeder selbt überlassen. Kürzlich hat meine Schulfreundin geheiratet, und zwar in einer Weise, die vielen schon als etwas unromatisch erscheinen dürfte: keine Kirche, kein gemeinsamer Name, kein Hochzeitswalzer, Teile des Brautstraußes habe ich als Bestandteil der Verpackung meines Weihnachtsgeschenkes bekommen, und über ihre Eheringe sagt sie: "Die sind schon ganz schön verranzt, aber egal, wenn sie nichts mehr sind, schmeißen wir sie weg und kaufen neue." Aromantisch ist sie deswegen nicht. Ich aber, obwohl ich mich für sie gefreut habe. Ich hatte viel Spaß. Und trotzdem dachte ich mir: das willst du nicht, und das ist gut so. War also auch eine gute Erfahrung für mich. :-)
Genervtsein von Pärchen kenne ich auch, und ich denke, das hat manchmal einen anderen, vielen Pärchen gar nicht bewussten Grund: die Inszenierung als Pärchen, als "Guckt alle her, wir gehören zusammen!" ist ein wichtiger Bestandteil der romantischen Performance und festigt die Beziehung. Es nervt manchmal unendlich, dafür missbraucht zu werden. Die bloße Existenz von Pärchen im Bekanntenkreis ist mir persönlich, zB., völlig schnuppe.
Lea (Mittwoch, 20 Januar 2016 09:15)
Flattermaus und Julia haben sehr gute Dinge angesprochen in ihren Kommentaren! Wer aromantisch ist, kann sich der Auseinandersetzung mit Romantik doch gar nicht entziehen, so präsent wie Romantik im Alltag ist. Dass man dann zwangsläufig sich dazu auch positioniert, liegt doch auf der Hand. Und man muss auch nicht immer gleich eine Antihaltung entwickeln. Mir geht es so wie Julia: Sollen die anderen heiraten, solange sie mir mein Singledasein nicht madig reden, ist das voll in Ordnung. Nur wenn man mich zur Romantik ''bekehren'' will, darauf reagiere ich mit Abwehr.