Antisexualität – das ist etwas, was die meisten asexuellen Menschen meiden wie Vampire den Knoblauch. Schließlich ist Antisexualität mit einer erworbenen Einstellung gleichzusetzen und Asexualität als sexuelle Orientierung von einer Geisteshaltung zu trennen. Doch ist es auch richtig, antisexuelle Menschen alle über einen Kamm zu scheren und diese anonyme Masse kategorisch mit dem metaphorischen Kruzifix abwehren zu wollen?
Eklig, schmutzig, primitiv, unnötig, lächerlich, widerlich, abstoßend – das alles sind Adjektive, die einem antisexuellen Menschen wohlmöglich durch den Kopf schießen, wenn er seine Empfindungen gegenüber sexueller Interaktion beschreiben müsste. Antisexuell zu sein bedeutet, eine ablehnende Einstellung gegenüber Sex zu vertreten und diesen mit negativen Emotionen zu verknüpfen. Die Gründe für solche Überzeugungen können vielfältig sein und sie betreffen nicht nur asexuelle Menschen. Auch sexuelle Menschen können nach negativen Erfahrungen und Enttäuschungen die Antisexualität für sich entdecken. All das sind kopfgesteuerte Prozesse.
Wie ein stoischer Mönch, der seine Emotionen fest im Griff hat, schaut der Antisexuelle mit gerümpfter Nase auf die Welt herab und hält sich für etwas Besseres, denn er hat das primitive Nachgeben gegenüber der schäbigen menschlichen Triebe nicht nötig. So ähnlich lautet das eventuell meistverbreitete Klischee über antisexuell eingestellte Menschen – bedauerlicherweise. Denn es rückt das tatsächlich falsche Elitedenken in den Fokus, dass einige antisexuelle Menschen für sich gepachtet haben. Einige, nicht alle! Antisexuell zu sein ist keine Auszeichnung und macht einen auch nicht besser als andere Menschen. Aber: Nicht alle Menschen mit einer antisexuellen Einstellung behaupten das. Antisexuell zu fühlen ist nicht pauschal falsch und ebenfalls kein Grund, sich deswegen für einen schlechten Menschen zu halten. Es ist lediglich ein Wort für einen emotionalen Zustand.
Zur Entstehung von Antisexualität
Auch, wenn es in der asexuellen Gemeinschaft des Öfteren unter den Tisch gekehrt wird: Antisexualität muss zwar nicht, kann aber sehr wohl mit der asexuellen Orientierung selbst verknüpft sein. Ist es verwerflich, wenn ein asexueller Mensch so oft mit Sexualität konfrontiert und in verletzender Weise dazu gedrängt wurde, seine „kranke“ Einstellung dazu zu ändern, dass er Sexualität schließlich mit innerer Ablehnung begegnet? Wenn er jeden Tag in irgendeiner Weise daran erinnert wird, dass „die schönste Nebensache der Welt“ angeblich lebensnotwendig für ein erfülltes Leben ist? Wenn Menschen ohne ein ausgefülltes Sexleben in den Medien wie Loser dargestellt werden? Wenn er in einer Gesellschaft lebt, die selbst Küchenmobiliar mit nackten Tatsachen bewirbt?
Wenn er dem übersexualisierten Zirkus nicht entfliehen kann, wird sich ein asexueller Mensch leicht unterrepräsentiert, alleine und missverstanden fühlen. Daraus können Aggressionen gegen Sexualität erwachsen, weil diese – so der logische Schluss – zur öffentlichen Verdrängung und teilweise auch Abwertung von Asexualität ihren entscheidenden Beitrag leistet.
Die antisexuelle Reaktion ist weder gut noch schlecht. Sie ist teilweise das Resultat des falschen Umgangs mit (A)Sexualität in den Medien und der Gesellschaft und daher in vielen Fällen eine emotionale Antwort auf die öffentliche Unsichtbarkeit der asexuellen Orientierung. Was aber noch viel wichtiger ist: Egal, wie eine solche Einstellung zustande gekommen ist, sie ist gültig! Genauso gültig wie eine sexpositive oder eine sexindifferente Einstellung.
Es ist erlaubt, den eigenen Emotionen nachzuhängen, auch wenn andere Menschen dem mit Widerspruch begegnen. Niemand sollte seine Emotionen unterdrücken, nur um von irgendeiner dubiosen Mehrheit wohlwollend akzeptiert zu werden. Allerdings muss man mit einer antisexuellen Einstellung ebenso akzeptieren, dass die Mehrheit der Menschen, auch die der asexuellen, dem nicht zustimmen. Und das sich das nicht ändern lässt.
Siku
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Killian (Mittwoch, 20 Januar 2016 13:23)
Ich seh das auch so. Ich bin antisexuell und asexuell. Ich hasse Sex, finde ihn eklig und brauche ihn nicht. Ich missioniere damit niemanden und erwarte nicht, dass jeder das auch so sieht. Ich halte mich nicht für überlegen, weil ich antisexuell bin. Ich mag das alles einfach nicht. Und ich möchte sagen dürfen, dass ich Sex abstoßend finde, ohne dass jemand die Augen verdreht und denkt: ''Was labert der Spinner?''
Denn ich reagiere auch nicht so, wenn mir mal wieder von den Vorzügen des tollen Sex vorgeschwärmt wird. Ich lehne Sex für mich ab, nicht für andere. Jedem seine Meinung!
Siku (Mittwoch, 20 Januar 2016 13:27)
Zumal Antisexualität auch immer im Ermessen des Betrachters liegt. Wann ist etwas noch asexuell, wann antisexuell? Da sind die Grenzen recht fließend und die Einschätzung hängt vom Standpunkt des jeweiligen Betrachters ab.
Raffael (Mittwoch, 20 Januar 2016 15:04)
Ich denke wie Siku, das lässt sich nicht immer eindeutig abgrenzen. Ist bei Gefühlen generell schwierig.
Es gibt doch auch im Englischen den Ausdruck ''sex repulsed'', der trifft die antisexuelle Einstellung eigentlich ganz gut.
Maz (Mittwoch, 20 Januar 2016 22:06)
Antisexualität geht schon nochmal ein gutes Stück über "sex repulsed" hinaus und beinhaltet zusätzlich eine ideologische Komponente. Sex etc. sind nicht nur für einen persönlich schlecht, primitiv, etc. sondern sie ist es für die Welt oder die Menschheit ansich. Das ist ganz ähnlich wie mit der Einstellung zur "Heteronormativität" oder dem "Patriarchat". Wenn man damit für sich persönlich ein "Problem" hat beschreibt das ja letztlich nur eine private Einstellung, die vermutlich auf persönlichen Erfahrungen gründet, aber wenn man aber sagt, daß z.B. "das Patriarchat" als solches die Wurzel allen Übels ist, dann ist man vermutlich ein radikaler Feminist ;-)
Siehe diesbezüglich auch die alten FAQ des Antisexual Stronghold: http://www.antisex.info/en/faqnew.htm
Raffael (Donnerstag, 21 Januar 2016 07:46)
Zu Maz: Es geht hier um eine ganz andere Definition von Antisexualität, die auf dem Blog vertreten wird. Wenn man das mit der von dir verlinkten Seite vergleicht, findet man kaum Gemeinsamkeiten. Hier ist Antisexualität eine negative emotionale Einstellung, dort eine krude Ideologie mit krassen Aussagen wie: Wenn es nicht mehr so viel Sex gibt, dann gibts auch weniger Krieg?! Ich wusste gar nicht, dass sich die antisexuelle Liga so nach außen hin darstellt. Sorry, mit solchen Clowns möchte ich nicht verglichen werden und ich glaube der Rest der Leute hier auch nicht. Da sollten wir in unserem Sinn doch lieber das Wort ''sexablehnend'' verwenden, auch wenn das imho recht dämlich klingt.
Maz (Donnerstag, 21 Januar 2016 10:02)
Wenn man sich nicht gegen Sexualität ansich richtet (und das vor allem auch auf anderen Personen ausweitet) ist es meiner Meinung nach keine Antisexualität. Die Grenzen können aber fließender sein und das muß nicht immer so extrem formuliert werden. z.B. kann man eine Aussage wie "die Welt wäre ohne Sex/Sexualität besser dran" als antisexuell sehen, ohne daß daran dann zusätzlich zwingend noch solche extremen Ideen wie "es gäbe dann keine Kriege mehr" geknüpft werden müssen. Die russische Seite ist trotzdem so ziemlich die einzige Community zum Thema im Netz aber (abgesehen vom russischen Forum vermutlich) auch schon über 10 Jahre alt und nur noch wenig frequentiert. Aven und vor allem das US-Forum wurden in der Zeit seit Gründung immer wieder mal von "antisexuellen" Wellen "heimgesucht" (aktuell ist das im US-Forum weniger das Thema nun geht es dort wohl mehr um Genderfragen und im deutschen Forum haben wir nur immer wieder mal einzelne Personen aber keine richtigen "Wellen" gehabt) und die Definition von Antisexualität geht demnach "historisch" betrachtet deutlich über eine rein persönliche Ablehnung von Sex für sich selbst hinaus.
Ein interessantes Interview mit jemanden, der die Community besser kennt ist hier:
https://asexualagenda.wordpress.com/2014/02/15/a-story-from-the-antisexual-community-an-interview-with-aqua-ace/
Dort werden auch 3 unterschiedliche Motivationen angesprochen, sich mit der antisexuellen Commmunity zu identifizieren bzw. sich dafür zu interessieren. Zum einen die ideologische Sichtweise, die von den Seitenbetreibern vertreten wurde, zum anderen das Gefühl Unterstützer zu finden weil man selbst "sex repulsed" ist oder unter der eigene Sexualität leidet und zum Dritten eine intellektuelle Beschäftigung mit den Problemen die Sex/Sexualität in der Welt verursachen ohne dabei in eine allgemeine Abwertung zu verfallen.
Maz (Donnerstag, 21 Januar 2016 10:32)
Noch ein Punkt ist, daß Antisexualität sicher nicht primär eine Reaktion auf unverstandene Asexualität ist sondern komplett unabhängig von Asexualität existieren kann und natürlich bei Sexuellen ebenso vorkommt (genau wie auch Antiromantik). Ich denke sogar, daß Antisexualität (auch im moderateren Sinne) und Asexualität oft verwechselt werden, also Menschen denken asexuell zu sein weil sie negative Empfindungen gegenüber sexuellen Themen haben oder sich von der sexualisierten Umwelt direkt oder indirekt unterdrückt, belästigt oder ausgegrenzt fühlen.
Flattermaus (Donnerstag, 21 Januar 2016 12:10)
Mir leuchten beide Seiten ein.
Antisexuell wird hier einfach als das Gegenteil von sex-positiv gebraucht.
Andererseits drückt eine Antihaltung schon durchaus auch etwas über den persönlichen Bezug Hinausgehendes aus.
Wir brauchen aber eine deutsche Bezeichnung dafür, wenn Sex bei jemand ausschließlich negative Emotionen und Assoziationen auslöst, sofern das Ich in dem Gedanken enthalten ist. Dass anderen ihr Glück mit oder durch Sex gegönnt wird, ist bestimmt bei den meisten der Fall, aber hier gar nicht Thema. Sex-positiv bedeutet ja auch nicht, dass jene sich dafür einsetzen müssen, den Ruf von Sex in der Öffentlichkeit zu verbessern, sondern einfach, dass diejenigen persönlich keine negativen Gefühle gegenüber Sex haben.
Im Forum ist ja immer wieder zu lesen, wie es wichtig für so viele ist, eine Empfindung begrifflich machen zu können, wie erleichtert sie sind, wenn sich von dem Begriff Asexualität erfahren haben. Dem Begriff ,,antisexuell" sollte man daher auch ein Spektrum zugestehen von ,,sex-repulsed" (was ja aber für Erklärungen in vielen Fällen nicht taugt, weil damit nur das zu Erklärende durch einen weiteren für manche unbekannten Begriff ersetzt wird) bis in den weltanschaulichen Bereich, welcher selbst natürlich diskussionsbedürftig ist, aber meiner Meinung nach auch nicht als These einfach als politically incorrect niedergeknüppelt werden darf. Über Thesen kann diskutiert und geforscht werden, da zeigt sich dann, ob es haltbar ist oder nicht.
Maz (Donnerstag, 21 Januar 2016 13:08)
Ich glaube das Dilemma ist hier auch das der Pathologisierung. Einstellungen gegenüber der Welt sind deutlich schwerer "pathologisierbar". Wenn man z.B. sagt man hat eine sexuelle Aversion oder Aversion gegenüber Sex und damit das "Weltanschauliche" rausnimmt läuft man wesentlich stärker Gefahr als "krank" wahrgenommen zu werden als wenn man das Problem mit dem Begriff Antisexuell als Abgrenzung gegenüber einer (potentiell bedrohlichen) Außenwelt nach draußen verlagert.
Das funktioniert ja (leider) auch sehr gut in Religionen oder Weltanschauungen auf deren Grundlage dann wirklich Kriege angezettelt werden.
Flattermaus (Donnerstag, 21 Januar 2016 15:44)
Pathologisch wird etwas durch Leidensdruck oder durch Gefährdung anderer.
Die Möglichkeit, von Intoleranten gemobbt zu werden, ergibt sich aus jeder Eigenschaft/Ansicht/Gegebenheit. Und anderes ist Pathologisierung durch Außenstehende nicht. Sich dazu hinter einem gegebenenfalls gar nicht vorhandenen ideologischen Überbau zu verschanzen wäre vielleicht vorsichtig, aber in erster Linie feige.
Zara (Freitag, 18 März 2016 03:12)
Ich bin nicht antisexuell, aber (wahrscheinlich) asexuell (=> vlt. grey-asexual, wenn man das weiter unterteilen will; bin mir da aber gar nicht sicher).
Antisexuell bin ich damit so wenig wie ich Antialkoholiker bin, bloß weil ich mir alkoholische Getränke kaum bis nicht schmecken und die Rauschwirkung vom Alkohol für mich schnell unangenehm ist, weil mir davonteils schwindelig wird auf unangenehme Art. Deshalb trinke ich fast nie Alkohol bzw. wenn, dann eher geringe Mengen. Das tue ich sehr selten und wenn, dann mutiere ich dadurch zwar nicht zum Alkoholfan, aber kann da einen gewissen überschaubaren Genuss rausziehen, der weniger am Alkohol liegt, als an der Gesamtsituation dabei (auch wenn mir komplett ohne Alkohol im Leben nichts fehlen würde). Ich habe aber nichts dagegen, wenn andere gerne Alkohol trinken. (Außer die benehmen sich dann daneben und belästigen andere oder zerstören Sachen etc.)
Für mich ist immer entscheidend, ob die Grenzen des jeweils anderen respektiert werden und man sich gegenseitig seine Andersartigkeit zugestehen kann oder Übergriffe (verbal oder weitergehend) wahrscheinlich sind.
Für mich persönlich kann ich mit antisexuellen Einstellungen nichts anfangen. Ich verstehe aber, wenn so eine Sicht im Einzelfall geäußert werden sollte, wenn vorher der asexuelle Mensch massiv angegangen worden ist bzgl. seiner Asexualität.
Nina (Mittwoch, 30 März 2016 16:28)
Ich bin tendenziell antisexuell. Mich stört, für was sexuelle Reize alles benutzt werden, um sich damit Vorteile zu schaffen. Außerdem stört mich mein eigener Trieb.
Thomas H. (Samstag, 09 April 2016 01:06)
ich bin asexuell und antisexuell und fühle mich fremd auf dieser Welt und auch fremd in einem menschlichen Körper. Ich lehne das Menschsein, viele menschliche Verhaltensweisen, die menschliche Fortpflanzung und Sex instinktiv, ohne das ich negative Erfahrungen damit gemacht habe, ab. Das war auch schon als Kind bei mir so. Ich will niemanden bekehren, habe keinen Kontakt zu anderen Asexuellen und wünsche mir eigentlich nur den Wechsel in einen außerirdischen Körper und in eine völlig andere, viel bessere Welt als diese.